... bis sie vorüber sind

Vor zehn Jahren starb der Schriftsteller Jürgen Fuchs

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

In Reiner Kunzes Dokumentation »Deckname ›Lyrik‹« kann man das Vokabular studieren: Kompromittierung, Einschränkung der Resonanz, Zweifel streuen, Isolierung, IM ansetzen, Bekämpfung, ständige ununterbrochene Kontrolle, Verunsicherung, psychischer Druck, zersetzende Maßnahmen.

Die Staatssicherheit verfolgte Jürgen Fuchs im Osten wie im Westen, wohin er 1977 abgeschoben wurde. Der Berliner »Tagesspiegel« dokumentierte kürzlich »zersetzende Maßnahmen«: Da ist das geparkte Auto des Schriftstellers plötzlich nicht mehr abgeschlossen, der Kindersitz steht neben dem Fahrzeug. Wo sein Fahrrad neben vielen anderen abgestellt ist, liegen auf dem Gepäckträger Pornohefte mit gut lesbarem Adressenaufkleber. Eine Autobombe explodiert vor der Haustür. Man schickt ihm einen Schädlingsbekämpfer, dieser Kammerjäger sagt, er sei alarmiert worden, im Hause gebe es Ungeziefer. Ein Wink mit dem Zaunpfahl. Die brutale Metaphorik des Staates, der auch auf diese Weise Vollbeschäftigung garantierte: Über vierzig Inoffizielle Mitarbeiter, über 25 Bände mit Beschnüffelungsakten.

Mit 48 Jahren starb Jürgen Fuchs an einem Blutkrebs, den radioaktive Strahlung ausgelöst hatte. Die letzte, erfolgreiche zersetzende Haft-Maßnahme? Auch wenn dieser Verdacht tausendfach unbeweisbar sein sollte, ihn einmal gedacht, ihn klar für möglich gehalten zu haben, bleibt die untilgbar gefühlte Wahrheit eines von Sozialisten zersetzten Lebens.

Fuchs, geboren 1950 in Reichenbach (Vogtland), kam 1976, nach Proteste gegen die Biermann-Ausbürgerung, ins Stasigefängnis Berlin-Hohenschönhausen. Sein Buch »Vernehmungsprotokolle« erzählt von neun Haftmonaten, und der Gedanke schleicht sich ein, dass Folter ein weit auslegbares Wort ist. Man kann etwas auf eine Art überstehen, dass man nie wieder darübersteht, sondern immer, im wahren Sinn des Wortes, verhaftet bleibt. Der Eindeutigkeit des Hasses, der Nichtdiskutierbarkeit der eigenen Moral, der Undiskutierbarkeit von Kompromissen.

Zersetzen hieß: sich als Staat einnisten in die Nerven, sich festkrallen in den Lebensgeistern. Der Zersetzung widerstehen hieß: »Die mich anfallen / Bis sie vorüber sind / Und mich blass sehen / Und geblendet // Versteh ich gut / In ihrer Wut: // Denn ich leuchte / Zwar matt / Aber sie durchleuchten mich nicht // Und ich nehme ihnen die Sicht / Ein wenig: // Nicht unsichtbar / Nicht zu übersehen / Mit mir müssen sie rechnen.« Nein, kein Gedicht aus der Hölle Hohenschönhausen, das schrieb Jürgen Fuchs ahnungsvoll schon vorher, für die DDR-Anthologie »Auswahl 74. Neue Lyrik – Neue Namen«. Heinz Kahlau im Vorwort, wohl in guter Hoffnung und noch besserer Absicht: »In diesem Buch spricht eine Generation, die geboren wurde, als die gesellschaftlichen Verhältnisse ihres Landes schon eine sozialistische Grundlage hatte. Die kommunistische Gesellschaft stellt für sie die einzige Alternative zu allen bisherigen Ordnungen dar. Sie hat sich für eine Daseinsweise entschieden, die nicht Hinnahme, sondern Hingabe erfordert.«

Fuchs, so heißt es in der biografischen Notiz dieses Buches, war da Student der Psychologie in Jena. Er organisiert mit Lutz Rathenow einen »Arbeitskreis für Literatur und Lyrik«, wird eine ausgezeichnete Diplomarbeit schreiben, aber kurz vor Abschluss aus Universität und SED ausgeschlossen; bei Robert Havemann finden er und seine Familie ein Unterkommen, aus dessen Auto heraus wird er verhaftet. In Schreiben und Sagen zu viel Hingabe an die Wahrheit (einer ihm stupiden, dogmatischen Gesellschaft), zu wenig Hinnahme der Gegebenheiten. Die Genossen erfährt er als Mächtige, »die sehr tief treten können«.

Er war in Sachen Biermann der Arbeiter des Widerstandes, stand sehr bloß da in seinem Kriegsstoff, den er sich nicht ausgesucht hatte, so ganz ohne die Prominenz jener berühmt werdenden Unterzeichner. Denen gehörte schon die westliche öffentliche Welt, da saß er noch allein in der Zelle; draußen war der Staat mit dem Kitten beschäftigt, drinnen aber, hinterm Beton, der rundherum ein Wohnungsbauprogramm war, mit besagter Zersetzung des Einen.

Fuchs schrieb Gedichte, Prosa (»Fassonschnitt«, »Das Ende einer Feigheit«), die Protokoll-Literatur wurde zum Botschafter seines geprüften Gedächtnisses, dieses Gedächtnis ließ nicht zu, dass die Vernehmer das Gewissen von seiner Seite rissen, die beiden, Gedächtnis und Gewissen, blieben zusammen, umklammerten einander, hielten auch die Welt fest, wie sie war. Hielten die Schläge des Schicksals aus, und fast wie ein Wunder schien es, dass Fuchs seine Sanftheit bewahrte, seine geradezu lächelnde Festigkeit, sie hat ihn auch verwundbar gehalten, als er später in der Gauck-Behörde arbeitete. Sein Roman »Magdalena« schreibt sich, lehnt sich auf gegen den kalten Bürokratismus einer solchen Behörde, und es schien, als suche und grabe Fuchs, unverstanden von Umsitzenden, nur deshalb in den Akten, weil er zwischen den Papieren eingeklemmte, eingepresste Herzen schlagen hörte, die mit letzter Kraft nach Befreiung, nach Luft pumpten. Aber immer nur sausen Bürostempel herab, assistiert von Staub; der Mensch ist und bleibt hier wie da ein Vorgang, und wo er einen anderen Menschen sucht, trifft er auf Sachbearbeiter.

Er blieb der Unzeitgemäße, sich Kümmernde, blieb ein viel zu schwacher Magnet für alles überbordende Unrecht dieser Welt, das er auf sich zog, aufsog, um es öffentlich zu machen, immer wieder, in immer neuen Anläufen. Wirklich: ein Dissident, von Grund auf, der in ihm lag. Ein Unverstandener wohl auch: einmal Bürgerrechtler, immer Bürgerrechtler, auch wenn man doch Dichter ist.

Von der DDR wird noch erzählt werden. Es ist schon ein Unterschied, ob man das Schicksal solcher Menschen wie Jürgen Fuchs in die Hauptsätze vom Wesen des Systems herübernimmt oder es in die Nebensätze von den missliebigen Nebenwirkungen abschiebt.

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