nd-aktuell.de / 09.05.2009 / Kultur / Seite 17

Wolff druckt noch

Die WFB-Verlagsgruppe gibt die »Bibliothek Bücherverbrennung« heraus

Christina Matte
Wolff druckt noch

Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky!
9. Feuerspruch bei den Bücherverbrennungen im Mai und Juni 1933


Die Pfeife schmaucht. Sie schmaucht fast immer, wenn Rudolf Wolff arbeitet, und er arbeitet fast jeden Tag – von acht Uhr morgens bis nachts um drei. Er ist Verleger. Vor ihm auf dem Tisch Kurt Tucholskys »Träumereien an preußischen Kaminen«, mit sieben Zeichnungen aus der Originalausgabe von 1920 im Felix Lehmann Verlag und einem Nachwort von ihm selbst. Er hat das schmale Bändchen im Februar herausgebracht, als erstes seiner neuen Reihe »Bibliothek Bücherverbrennung«. Die Reihe ist ihm wichtig. »Bücher verbrennt man seit mehr als 2000 Jahren«, sagt Wolff, »aber die Nazis haben es geschafft, nicht nur die Bücher zu vernichten, sondern auch deren Autoren in Vergessenheit geraten zu lassen. Selbst Leuten, die ich für belesen halte, sind einige Namen nicht mehr bekannt.« Das will er ändern. Indem er Tucho verlegt? Wolff seufzt: »Tucholsky war der Auftakt der Reihe. Ich dachte, der Name zieht.« Er hat sich geirrt. 300 Exemplare hat er gedruckt, nur 60 bisher verkauft.

Auch der zweite Band ist fertiggestellt. Es handelt sich dabei um Stefan Großmanns Autobiografie »Ich war begeistert. Eine Lebensgeschichte«. »Ein wunderbar unterhaltsames Buch«, schwärmt Wolff, »im Schreiben ähnelt Großmann Tucholsky. Vielleicht war er nicht ganz so brillant, doch dass man ihn kaum noch zur Kenntnis nimmt, ist unfair und nicht nachvollziehbar. Die Nazis hassten ihn wie die Pest: Er ließ sich nicht vereinnahmen, war unbestechlich in seinem Urteil.« Stefan Großmann dürfte tatsächlich nur noch Wenigen im Gedächtnis sein: 1875 als Sohn jüdischer Eltern in Wien geboren, starb er bereits 1935, nur zwei Jahre nach dem Ende der Weimarer Republik. Ein kurzes Leben, doch was für eines! Er gehörte zu den renommiertesten Publizisten in Österreich und Deutschland, gründete die »Freie Volksbühne für die Wiener Arbeiter«, schrieb Bücher und Theaterstücke, führte Regie, war in Berlin Autor von Siegfried Jacobsohns »Schaubühne«, arbeitete bei der »Vossischen Zeitung« und gründete 1920, zusammen mit dem Verleger Ernst Rowohlt, das überparteiliche »Tage-Buch«, das sich in der Weimarer Zeit neben Carl von Ossietzkys »Weltbühne« zur einflussreichsten demokratischen Zeitschrift entwickelte. Aber was erzähle ich! Dank Wolff kann man es nun wieder bei Stefan Großmann selbst nachlesen.

Im Mai 1933, im Zuge der »Aktion wider den undeutschen Geist«, zerfielen in den Scheiterhaufen auch Großmanns Bücher und Schriften zu Asche. Bücher verbrennen – für Rudolf Wolff zu jeder Zeit ein barbarischer Akt. Die nationalsozialistische Aktion findet er »besonders perfide«: »Es waren Studenten, die die Bücher aus den Bibliotheken rissen, um sie in die Flammen zu werfen – das muss man sich vorstellen: kein Pöbel, keine Dummköpfe, sondern die künftige geistige Elite war fähig, Bücher zu vernichten.« Wolff schüttelt den Kopf: Die sogenannte Zivilisation, die wir gern für uns in Anspruch nehmen, ist zutiefst fragwürdig, unzuverlässig.

Wenn Wolff den Kopf schüttelt, kommt Bewegung in seine Haartracht. Sie wallt ihm bis auf die Schultern; wahrscheinlich spart er die Kosten für den Friseur. Sein Verlag ist sehr klein und kaum rentabel. Untergebracht ist er in zwei Räumen: in der Garage seines Hauses und in einem bescheidenen Anbau. Im Anbau schmaucht die Pfeife, dort steht sein Computer. Dort sind die Wände mit Regalen bestückt. Im Regal neben dem Fenster reihen sich ganz oben die Bücher, die er einst geschrieben hat. Er hat viele Bücher geschrieben. Über die Börse, Computer, Schriftsteller. Über alles, sagt er, »wovon ich ein bisschen Ahnung hatte«. An solchem Sätzen erkennt man den Wessi.

Wolff hat ein Wirtschafstsgymnasium besucht, später Germanistik, Literatur- und Theaterwissenschaften sowie Psychologie studiert. »Wirtschaft verkaufte sich damals«, erklärt er. Das Buch, das er über die Börse verfasste, erschien einst bei dtv und war nach einem Jahr vergriffen. Kein Wunder bei Wolffs Erfolgsgeschichte: Als junger Mann hatte er an der Börse innerhalb von fünf Jahren aus 5000 D-Mark stattliche 500 000 gemacht. Wie gewonnen, so zerronnen – Börsenkrise nach dem 11. September '01 und ein verlorener Prozess. Über eine Nachauflage war mit dtv nicht zu verhandeln. Von Börse, Wirtschaft und Finanzen hatte er dann die Nase voll. Er schrieb eine größere Buchreihe, die bei Bouvier in Bonn erschien: Profile von Schriftstellern wie Thomas Mann, Erich Kästner, Hans Fallada, Astrid Lindgren, Joseph Roth, Jacob Wassermann, Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig.

Im unteren Regalfach die Bücher, die in seinem Verlag entstanden: »Else von der Tanne« von Wilhelm Raabe, Marie von Ebner-Eschenbachs »Bozena«, Ludwig Börnes »Menzel, der Franzosenfresser«, Heinrich Heines »Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski«, um nur einige zu nennen. Auch diese Bücher, die er zur literarischen Tradition zählt, sind ihm ausgesprochen wichtig. Alles, was er verlegt, ist ihm wichtig. Nur deshalb – um das, was er wichtig findet, was nicht dem Vergessen anheimfallen soll, irgendwie unter die Leser zu bringen – hat er 1993 eine eigene Verlagsgesellschaft gegründet. Sie hieß WFB: Wolf – Finanzen – Bücher. Dabei wollte er nie Verleger werden. Er weiß, dass er dafür der falsche Mann ist, denn vom Verkaufen versteht er nichts. Lieber entwickelt er Ideen. Auch heute noch zöge er es vor, zu einem großen Verlag zu gehen, Projekte auf den Tisch zu legen und zu sagen: Nun mach mal, Verleger. Doch die großen Verlage »machen« nicht mehr. Fischer, Beck, Rowohlt, dtv – er nennt sie »Publikumsverlage«. Womit er sagen will, dass sie sich am Geschmack des breitesten Publikums orientieren und vor allem drucken, was Geld bringt. Für Wolffs Geschmack sind viel zu viele schlechte Bücher auf dem Markt. Ein gutes Buch, Wolff hat es erlebt, wird nicht ins Programm aufgenommen, mit der Begründung, man könne davon höchstens 3000 Exemplare verkaufen. »Was ist das denn für eine Begründung?«, fragt er. »3000 Bücher zu verkaufen, meinem Kleinstverlag wird das nie gelingen. Damit stellen sich die wohlhabenden Verlage, die mir Vorbild sein sollten, ein Armutszeugnis aus. Sie haben den Anspruch, Verleger zu sein, verspielt!« Er hat sich in Rage geredet.

Wolffs Programm ist klein, aber fein. Rechte zu kaufen, kann er sich nicht leisten. Bleibt ihm nur, Bücher zu verlegen, für welche die Rechte frei werden, was in der Regel 70 Jahre nach dem Tod eines Autors eintritt. Er muss sich gedulden. Bei anderen Büchern, beispielsweise denen von Anette Kolb oder Alfred Döblin, haben »Publikumsverlage« die Rechte erworben. Dort liegen sie, und das ärgert ihn, denn »sie bringen die Bücher nicht raus«.

Wolffs Verlagsgesellschaft ging pleite. Vor vier Jahren gründete er einen neuen Verlag, die WFB-Verlagsgruppe Ltd. – Gesellschaft mit begrenzter Haftung. WFB übersetzt er jetzt mit »Wir fördern Bücher«. Die Gruppe, das sind er und seine Frau Katja sowie sein vierzehnjähriger Sohn Victor. Katja liest die Manuskripte an, die ihnen zugeschickt werden. Wenn sie sagt: »Das machen wir«, dann machen sie es, meistens. Sagt sie: »Rudolf, das machen wir nicht«, bietet er dem Autor an, das Buch als Lohndruck herauszubringen und ihm eine ISBN-Nummer zu geben. Fast immer stimmt Katjas Urteil mit dem seinen überein. Außerdem tippt sie, packt Bücher ein, sammelt Informationen im Internet ... Victor hilft beim Papiertragen. Ein Bücherwurm ist Victor nicht, Wolff ist inzwischen überzeugt, dass er »für die Literatur verloren« ist. Von den 15 000 Bänden, die sich im Hause Wolff versammeln, stehen nur zwölf in Victors Zimmer. Verleger wie sein Vater will er nicht werden. Wolff: »Victor will Geld verdienen.«

Wolff lebt und arbeitet in Bad Schwartau. Dort ist er auch geboren. Bad Schwartau – alles Marmelade? Nicht doch. Nur einen Katzensprung entfernt, in Lübeck, steht das Geburtshaus von Thomas und Heinrich Mann. So dass man sich vorstellen könnte, eine gewisse schöngeistige Atmosphäre habe über Wolffs Kindheit gelegen. Doch das Gegenteil war der Fall. Der Sohn eines kleinen Beamten durfte weder Bücher lesen noch welche kaufen. Den Zugang zur Welt der Bildung hat er sich erkämpfen müssen. Als er die Erwachsenenbibliothek entdeckte, standen dem Pubertierenden nur die drei Abteilungen mit den Biografien und den Klassikern offen. Er hat sie verschlungen, die Lebensgeschichten von Mozart, Schubert, Gründgens. Auch Shakespeares Werke fand er dort. Der »Hamlet« faszinierte ihn, und da die Ausleihe nicht verlängert wurde, hat er ihn mit der Hand abgeschrieben. Gegen den Willen seiner Eltern erwarb er nach der Mittleren Reife schließlich doch das Abitur. Vielleicht hat er deshalb heute ein besonderes Verhältnis zu Büchern.

Wie soll man dieses Verhältnis beschreiben? Ehrfurcht vor Büchern empfindet er nicht – das Wort Ehrfurcht enthält das Wort Furcht, und er fürchtet sich ja nicht. Empfindet er Achtung, Respekt? Davon darf man ausgehen, vermag doch der gedruckte Gedanke die dünne Schicht Zivilisation zu stärken, die nötig ist, damit wir menschlich bleiben – nicht umsonst jagt er Mächtigen Angst ein. Doch am treffendsten sagt man: Wolff liebt Bücher. Er liebt es, das Papier zu berühren, auf das er die Texte aus dem Computer druckt. Er liebt es, den »Nutzen« zu schneiden, die Bögen zum Buchblock zu fügen, zuletzt den Umschlag zu umleimen, den er selbst entworfen hat. All das geschieht in der Garage, die an sein Arbeitszimmer grenzt. Dort warten seine »Geschöpfe« darauf, an den Mann gebracht zu werden. Auch wenn er, was er mit ihnen verdient, in der Pfeife rauchen kann, glaubt er, dass seine Arbeit sich lohnt.

Für Wolff sind Bücher unantastbar. Die »Bibliothek Bücherverbrennung« will er fortführen, »so lange ich und der Verlag leben«. Jeden Monat ein Buch, zehn Bücher pro Jahr, möchte er herausgeben. Demnächst erscheinen bei der WFB Jakob Wassermanns »Antisemitismus und Rassenfrage«, Gustav Meyrings »Des deutschen Spießers Wunderhorn« und Erich Mühsams »Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat«. Bereits gedruckt liegt ein Vortrag von Dr. Jürgen Schwalm zur Geschichte der Bücherverbrennung vor. Der in Leipzig geborene und in Lübeck lebende Arzt und Schriftsteller hielt diesen Vortrag 2003 im Buddenbrookhaus. Darin spannte er den Bogen von der Antike bis in die Gegenwart. Schwalm: »Vor relativ kurzer Zeit, 1990, nach der deutschen Wiedervereinigug, kam es in ostdeutschen Hochschulen, Bibliotheken und Verlagen zu gewaltigen Säuberungsaktionen, bei denen nicht nur zeitgenössische Autoren, sondern auch ganze Klassiker-Auflagen ›vermüllt‹ wurden ... Kei- neswegs waren ... nur weltanschauliche Gesichtspunkte ausschlaggebend, nein, auch kommerzielle Interessensansprüche standen hinter den unsauberen Machenschaften.« Es sei wahrlich zum Fürchten, sich auszumalen, dass Heines Aussage, wo man Bücher verbrenne, verbrenne man am Ende auch Menschen, »erst dann ihre Gültigkeit verloren haben sollte, wenn überhaupt keine Bücher mehr gedruckt werden.«

Keine Angst, noch ist es nicht so weit. Wolff druckt noch.


Verbrannt wurden die Bücher von über 200 Autoren. Zu ihnen gehörten:

Walter Benjamin, Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Max Brod, Otto Dix, Alfred Döblin, Albert Einstein, Lion Feuchtwanger, Marieluise Fleißer, Friedrich Wilhelm Foerster, Leonhard Frank, Sigmund Freud, Iwan Goll, George Grosz, Heinrich Heine, Ödön von Horvath, Heinrich Eduard Jacob, Franz Kafka, Georg Kaiser, Erich Kästner, Alfred Kerr, Egon Erwin Kisch, Karl Kraus, Theodor Lessing, Alexander Lernet-Holenia, Karl Liebknecht, Georg Lukács, Rosa Luxemburg, Heinrich Mann, Klaus Mann, Ludwig Marcuse, Karl Marx, Robert Musil, Carl von Ossietzky, Erwin Piscator, Alfred Polgar, Erich Maria Remarque, Ludwig Renn, Joachim Ringelnatz, Joseph Roth, Nelly Sachs, Felix Salten, Anna Seghers, Arthur Schnitzler, Carl Sternheim, Bertha von Suttner, Ernst Toller, Kurt Tucholsky, Jakob Wassermann, Franz Werfel, Grete Weiskopf, Arnold Zweig, Stefan Zweig.

Rudolf Wolff will die »Bibliothek Bücherverbrennung« fortführen – »solange ich und der Verlag leben«
Rudolf Wolff will die »Bibliothek Bücherverbrennung« fortführen – »solange ich und der Verlag leben«