Verliebt wie am ersten Tag

Die Bilanz von einem Jahr schwarz-grüner Koalition in Hamburg ist durchwachsen

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor einem Jahr wurde in Hamburg Geschichte geschrieben: Am 7. Mai wurde Ole von Beust (CDU) mit den Stimmen der Grün-Alternativen Liste (GAL) zum Bürgermeister gewählt – die erste schwarz-grüne Regierung auf Landesebene war perfekt!

Was vor einem Jahr besiegelt wurde, hatte eine lange Vorschichte. Der frisch gebackene Fraktionsvorsitzende Ole von Beust irritierte bereits vor anderthalb Jahrzehnten die christdemokratische Stammwählerschaft mit schwarz-grünen Gedankenspielen. Das Kalkül: Nur wenn sich die CDU ihr in der Hansestadt angestaubtes Image abstreift, sich als moderne Großstadtpartei präsentiert und in die Mitte rückt, ist die jahrzehntelange SPD-Herrschaft an Elbe und Alster zu knacken. Es dauerte aber noch ein Weilchen, bis die zart umworbene grüne Braut in spe verlegen gluckste – noch hatten viele klassische Linke ihr grünes Parteibuch nicht abgegeben.

2001 kam die CDU nach 40 Jahren endlich an die Macht. Aber zunächst nicht mit Hilfe der Grünen, sondern mit der Schill-Partei und der FDP. Wie durch ein Wunder gelang es von Beust, in der chaotischen Koalition zum Sympathieträger aufzusteigen – besonders nach dem Rauswurf des Hasardeurs Ronald Schill, der der CDU 2004 einen Wahlsieg mit absoluter Mehrheit bescherte.

Die schwarz-grüne Stunde schlug vier Jahre später. Die Grünen hatten die Zeit genutzt, sich weiter zu häuten – sprich: zu verbürgerlichen. Die Spottgesänge im Wahlkampf 2008 auf den Kohlekraftwerk-Befürworter »Kohle von Beust« waren nur noch ein kalter Abklatsch alt-grünen Revoluzzertums. Heute, spotten ehemalige Weggefährten, seien die Grünen mittlerweile so angepasst, dass sie nicht einmal zum Brötchenholen ohne Schlips das Haus verlassen.

Auch die Bündnis-Skeptiker in der CDU wurden weniger. Grund: Seit 2004 funktionierten zwei schwarz-grüne Koalitionen auf kommunaler Ebene reibungslos. Das schaffte Vertrauen. Und dann noch das: 2007 ließ sich Ole von Beust zum Klimabeauftragten der Bundesregierung ausrufen. Das geschah ziemlich überraschend. Denn mit der Umwelt hatte der Christdemokrat bis dato nichts am Hut – sieht man mal von seinen häufigen Naturbeobachtungen auf seiner Lieblingsinsel Sylt ab.

Jetzt dauert die Ehe schon ein Jahr – und das früher ungleiche Paar scheint sich immer noch zu lieben. Weder »Reibereien« noch einen »Riesenkrach« habe es gegeben, freut sich der Bürgermeister und schwärmt von »vielen Berührungspunkten«. Und seine grüne Stellvertreterin, Schulsenatorin Christa Goetsch, haucht: »Ich bereue keinen Tag!« Gerne betont die Grüne ihre Verdienste in der Koalition: »Es gibt wichtige Trendwenden bei Kita, Schule, Strafvollzug und Resozialisierung.« Auch dass Hamburg von der EU-Kommission zur Klimahauptstadt 2011 gewählt wurde, wertet sie als »schöne Bestätigung«. Was die Grünen gerne verschweigen würden: In Sachen Elbvertiefung und Kohlekraftwerk Moorburg, das die grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk genehmigte, haben sie klein beigegeben. Das bewirkte an der Basis aber nicht mehr als ein leises Murren und führte nur zu wenigen Austritten.

Der Wähler scheint dagegen mit den Grünen zufrieden zu sein. Während der Koalitionspartner in aktuellen Umfragen Federn lassen muss (die CDU rutschte von 42,6 auf 36 Prozent ab), legte die GAL von 9,6 auf zwölf Prozent zu. Die schlechte Nachricht: Die Mehrheit für Schwarz-Grün ist futsch!

Bei der Ursachenforschung für den leichten Abwärtstrend stößt man auf ein Sachthema – die Schulpolitik – und die Personalie Michael Freytag, der als Finanzsenator ins Kreuzfeuer der Kritik geraten ist. Gegen die Schulreform (gemeinsames Lernen bis Klasse 6, danach Stadtteilschule oder Gymnasium) laufen viele Eltern Sturm, besonders in den wohlhabenden Stadtteilen. Kürzlich demonstrierten 5000 Reformgegner vor dem Rathaus. Minuspunkte hat auch der als von Beusts Kronprinz gehandelte Finanzsenator gemacht: Lange hatte Freytag die Krise der HSH-Nordbank verharmlost. Die SPD-Opposition warf ihm vor, beim Krisenmanagement den »Überblick« verloren zu haben. Von Popularitätswerten wie Bürgermeister Ole von Beust (60 Prozent der Hamburger sind mit seiner Arbeit zufrieden) kann Freytag nur träumen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal