Das Schöne ist bizarr

Retrospektive der Malerin Herta Günther in Freital

  • Gert Claußnitzer
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigentlich entzieht sich das künstlerische Werk der Dresdner Malerin und Grafikerin Herta Günther (geb. 1934) der kunstgeschichtlichen Klassifizierung. Und es unterliegt wohl eher eigenen Gesetzlichkeiten, folgt sicher mehr dem spontanen Gefühlsregungen, ja der ganz persönlichen Empfindungskraft als den von Geist und Formenwelt der Epoche geprägten Mustern. Man hat den Eindruck, die liebenswerte Bildwelt von Herta Günther, zuweilen nicht frei von derber, unerschrockener sozialer Beobachtung, ist ein wenig verwandt den charakteristischen und unverwechselbaren Gestaltungen einer Kunst aus dem Volke.

Der echte Zeichner »liebt die menschliche Gestalt«, hat der Maler Ludwig Meidner gesagt. Eine Aussage, die ganz und gar auf die Malerin Herta Günther zutreffen dürfte. Sie malt und zeichnet unentwegt Figürliches, vor allem immer wieder Frauenbilder. Nur hin und wieder auch einmal eine Landschaft. Doch ihr eigentliches Anliegen ist das Menschliche, das individuell Menschliche. Das lässt sich jetzt in einer großartigen Retrospektive der Künstlerin in den Städtischen Sammlungen Freital mit 79 auserlesenen Arbeiten nachvollziehen.

Dem Betrachter der Bilder von Herta Günther eröffnen sich tiefe Einblicke in das Dresdner Café-Haus- oder Kneipenleben, das so ähnlich vor ihr schon Otto Dix, Rudolf Schlichter und auch Hans Grundig in zahllosen Werken aufgegriffen haben. Es sind bei Herta Günther Darstellungen, die sich keiner bestimmten Zeit zuordnen lassen und die auch keine unbedingt zeitkritische Äußerung beabsichtigen, wie etwa bei Dix oder Grosz. Alphaft, erbarmungslos manchmal, paradox oder auch voll gespenstischen Ernstes, erzählen sie eindringlich von den mannigfaltigen Erscheinungen im Kneipenmilieu. Mondänes steht neben dem Talmiglanz der Kurtisanen, von Huren und Damen.

Vielleicht hat auch Freude am Lächerlichen und Banalen die Künstlerin bewogen, und mitunter wohl die Absicht, Einzelschicksale zu bewahren, Menschenschicksale nachzuzeichnen, die vom Geschick des Verfallenseins an die Zeit geprägt sind und die noch immer wie in einem Trancezustand leben, in Erinnerung an das Vergangene. Manche Darstellung ist vom Schlage eines August Strindberg und anderes ist dem Expressionismus nahe verwandt, eine Malerei der kritischen Feststellung. Vieles ist da auch weniger individuell, sondern verbleibt im Typischen, die emanzipierte, kühl distanzierte Frau beispielsweise, die vielleicht einmal eine besondere Rolle in der Gesellschaft spielte, oder auch jene, deren Selbstbewusstsein gebrochen scheint und die von einer unübersehbaren melancholischen Stimmung übermannt wird. Die Poesie dieser Bilder sitzt tief innen, sie ist aber offenbar eine ungeheuer pathetische Angelegenheit für die Künstlerin.

Am Beginn ihres Schaffens standen zarte Radierungen, in denen Herta Günther sich den allgemeinen Problemen der menschlichen Existenz zuwandte, einfachen Wahrheiten des Daseins, der Poesie des Alltäglich-Banalen. Das wurde ohne jegliche Schablone und frei von akademischen Prämissen gestaltet, aber auf einem hohen formalen Niveau. Und da war es wohl ein Glücksfall, dass sie bei solch bedeutenden Zeichnern wie Max Schwimmer und Hans Theo Richter seinerzeit an der Dresdner Akademie studieren konnte. Die Sinnesfreude und Toleranz Max Schwimmers auf der einen Seite und auf der anderem die eindringliche Gestaltung des Menschlichen in einer strengen Formauffassung Hans Theo Richters! Das war für das opulente Radierwerk von Herta Günther, ihren grafischen Esprit und ihre gewagten Improvisationen sicher nicht unwesentlich.

In Malereien der späteren Jahre, auch in Pastellen, werden die Themen der Grafik, oft sind es Reminiszenzen an das Bildwerk Chagalls – vielleicht auch an das zeichnerische Schaffen Jules Pascins –, geradezu ins Monumentale gesteigert. Komisches und Groteskes wird auf reizvolle Weise vorgetragen. Halb moralisierend, halb achselzuckend wendet sich die Malerin den einsamen, vielleicht auch gestrauchelten Menschen zu, denen, die resigniert haben. Zuallererst sind es die Frauen, vielleicht, weil sie die Wahrheit menschlichen Lebens in der weiblichen Verkörperung am meisten fasziniert: das Verwelken und Unförmigwerden, die Mühsal des Alleinseins und Alleingelassenwerdens, Enttäuschung und Entbehrung.

Das Ausdrucksvermögen von Herta Günther ist nicht an bestimmte Gedankengänge oder gar Spekulationen gebunden. Es ist Ergebnis einer in sich ruhenden Begabung. Und das Gestaltete ist dann immer auch bizarr, ungewollt wohl und unbewusst. Etwa im Sinne Baudelaires, der hervorhob, dass »das Schöne immer bizarr« sei. Eine »naive Bizarrerie«, die einer Idee erst ihren Ausdruck gibt!

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