nd-aktuell.de / 13.05.2009 / Politik / Seite 2

»Wir brauchen ein neues Entwicklungsmodell«

Brasilianische Linkspolitikerin hält Idee des Sozialismus auch heute für aktuell

Iole Ilíada, Leiterin der Perseu-Abramo-Stiftung und Führungsmitglied der Arbeiterpartei (PT)
Iole Ilíada, Leiterin der Perseu-Abramo-Stiftung und Führungsmitglied der Arbeiterpartei (PT)

ND: Sie haben auf einer Konferenz des Brüsseler Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung über linke Politik in Lateinamerika und Europa diskutiert. Wie schätzen Sie die gegenwärtige Situation in Lateinamerika ein?
Ilíada: Ich denke, Lateinamerika ist auf vielen Feldern weit in der Entwicklung zurück. Es gibt viele fundamentale Probleme, mit denen sich Regierungen in Lateinamerika auseinanderzusetzen haben. Das fängt mit dem Analphabetismus an, mit der Armut, mit dem Hunger. Und das schafft eine ganz besondere Dynamik.

Wir haben auch Probleme mit der Einführung demokratischer Strukturen und Institutionen in Lateinamerika. In einigen Ländern finden deshalb jetzt erst Verfassungsprozesse statt. In Europa, in den meisten Ländern, ist das kein Thema. Auf der anderen Seite gibt es die klassischen Themen der Linken. Zum Beispiel die Situation der Arbeiter. Und mit der Krise stellt sich diese Frage um so dringlicher. Eine Gemeinsamkeit ist auch der Kampf gegen Umweltzerstörung, Abhängigkeit von den Finanzsystemen und Diskriminierung

Welches Konzept müssten die linke Parteien oder Bewegungen entwickeln, um ernsthafte Alternativen zum Kapitalismus anzubieten?
Ich glaube, der Neoliberalismus ist die aktuelle Form des Kapitalismus. Für mich sind die Probleme des Neoliberalismus also auch die Probleme des Kapitalismus. Deshalb müssen wir an einer Perspektive arbeiten, weil der Kapitalismus nicht dazu fähig ist, die Probleme der Menschen zu lösen. Die Probleme des Hungers, der Umwelt – das schafft er nicht. Wir müssen ein alternatives Projekt anbieten. Über den Inhalt dieses Sozialismus müssen wir diskutieren. Aber die Idee des Sozialismus bleibt aktuell. Ich glaube, wir sollten eine neue Art des Wachstums, der Entwicklung schaffen. Wir müssen ein neues Modell entwickeln, das die Vertiefung der Demokratie mit der Souveränität, mit dem Integrationsprozess und der Verringerung der Ungleichheit verbindet.

Wird dieses Modell allgemeingültig sein?
Jedes Land hat seine eigenen Probleme. In Brasilien zum Beispiel steht eine Agrarreform ganz vorn. In anderen Ländern sind es andere Fragen. Aber in allen Fällen wird es möglich sein, ein Entwicklungskonzept zu auszuarbeiten, das zwar noch nicht Sozialismus heißt, aber das den Reichtum und vor allem Macht und Entscheidungsrechte neu verteilt. Das kann in der Zukunft dazu führen, dass wir eine andere Gesellschaft aufbauen, die dann definitiv den Kapitalismus überwindet.

Fragen: Kay Wagner