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3000 Seiten zum Lernen und Nacheifern

Dokumentation zur Geschichte der Tarifpolitik der Metallgewerkschaft erschienen

  • Reiner Tosstorff
  • Lesedauer: 3 Min.
Die IG Metall hat jetzt ein mehr als 3000 Seiten starkes Werk zur Geschichte ihrer Tarifpolitik im Zeitraum von 1918 bis 2002 vorgelegt.

Vielleicht ist es ja auch ein Mittel, um sich Mut zu machen, wenn das »Kerngeschäft« schlecht geht. Nach der umfangreichen historischen Dokumentation, die die IG Metall jetzt vorgelegt hat, dürften in der näheren Zukunft wohl erstmal keine weiteren Durchbrüche zum Thema Tarifpolitik aus der Organisation zu vermelden sein.

In der Bilanz und mit großen historischem Blick, der vielleicht allzu schnell über die tiefen Rückschläge hinweggeht – so die Jahre zwischen 1933 und 1945 –, liest sich die Geschichte der IG Metall jedoch als Geschichte eines gewaltigen Aufstiegs. Die Metaller waren es auch, die die schweren Bataillone stellten, die mit ihren großen tarifpolitischen Durchbrüchen auch als Vorkämpfer für die anderen Gewerkschaften wirkten. Man denke nur an die beiden großen Streiks für die Lohnfortzahlung für Arbeiter und für die 35-Stunden-Woche.

Auf über dreitausend Seiten in drei repräsentativ gestalteten Bänden wird anhand von mehr als 500 Dokumenten die Entwicklung von Löhnen und Arbeitsbedingungen sowie des dafür bestimmenden gesetzlichen Rahmen nachgezeichnet. Sie beginnt mit der Novemberrevolution von 1918, in deren Gefolge überhaupt erst umfassende verbindliche Tarifverträge möglich wurden. Bis dahin waren dazu nur wenige Unternehmer bereit. So verwundert es auch nicht, dass die Vorläuferorganisation der IG-Metall sich erst im Jahr 1903 überhaupt dafür aussprach, um Tarifverträge zu kämpfen. Denn diese binden schließlich auch die Gewerkschaften. Doch gesetzliche Rahmenbedingungen waren nun gegeben und damit Tarifvorrang und Günstigkeit festgelegt, was auch heute noch – festgeschrieben im Tarifvertragsgesetz von 1949 – Gültigkeit hat.

Das Dokumentationsprojekt wurde 2002, damals noch unter dem alten IG-Metall-Chef Jürgen Peters, mit Blick auf den hundertsten Jahrestag der gewerkschaftlichen Entscheidung angestoßen. Die ursprüngliche Erwartung einer verhältnismäßig einfachen Aufgabe erwies sich schnell als zu optimistisch – Tarifpolitik kennt eben keinen linearen Aufstieg.

So konnte erst dem Gewerkschaftstag 2006 ein Band über die Zeit nach 1945 vorgelegt werden. Und der eigentlich einleitende Band über die Jahrzehnte davor musste aufgrund seines ausladenden Umfangs noch geteilt werden. Man entschied sich, auch die Zeit von 1933 bis 1945 mit in das Werk aufzunehmen, in der es bekanntlich keine Tarifverträge, sondern staatliche Verordnungen gab.

Nichts zeigt anschaulicher, was die Zerschlagung der Gewerkschaften bedeutete: Die Löhne auf dem Niveau der Weltwirtschaftskrise wurden drastisch gespreizt, um die Belegschaften zu entsolidarisieren und verstärkt auszupressen. Ein besonderes Moment stellte dabei die massive Lohnsenkung bei den Frauen dar.

Auf einen Anmerkungsapparat wurde bei dem Wälzer verzichtet, stattdessen sind die Dokumente durch längere, bestimmte Zeitabschnitte zusammenfassende Einleitungen erläutert. Im Übrigen sprechen sie weitgehend für sich selbst. Sie zeigen, wie wichtig für einen erfolgreichen Tarifkampf mobilisierungsfähige Formulierungen sind, wie oft aber auch innergewerkschaftlich hart gerungen und mancher Kampf kritisch gesehen wurde. Zur Erhöhung der Aussagefähigkeit der gewerkschaftlichen Dokumente wurde ihnen auch eine Reihe von Unternehmerstellungnahmen gegenübergestellt.

Vorgestellt wurde die Dokumentation in der vergangenen Woche von IG-Metall-Chef Bertold Huber und Jürgen Peters im Hauptquartier der Gewerkschaft in Frankfurt am Main. Dort verwies auch der Bearbeiter der Dokumentation, Holger Groll, darauf, dass das Werk eine wichtige Rolle in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit spielen sollte. Schließlich sei die Tarifpolitik der Gradmesser für den Erfolg der Gewerkschaften.

Beim Blick auf die jetzige Situation kann man nur hinzufügen, dass die Auswertung aller Erfahrungen nur von Nutzen sein kann.

Jürgen Peters, Holger Gorr: Dokumente zur Geschichte der Tarifpolitik der IG Metall und ihrer Vorgänger 1918 bis 2002. Steidl, Göttingen 2009. 3 Bände in einer Kassette, 3216 S., geb., 85 Euro, Bände auch einzeln bestellbar.

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