nd-aktuell.de / 15.05.2009 / Politik / Seite 7

Schafft die Räte ab!

Dominic Heilig
Der Autor ist Koordinator der Arbeitsgruppe Freiheits- und BürgerInnenrechte der Partei der Europäischen Linken.
Der Autor ist Koordinator der Arbeitsgruppe Freiheits- und BürgerInnenrechte der Partei der Europäischen Linken.

In vielerlei Hinsicht weist die Europäische Union Gemeinsamkeiten mit einer anderen Staatenunion auf, deren Lebenslicht vor zwei Dekaden erlosch. Demokratische Spielregeln lassen sich auch in der EU weit schwieriger finden als ein Missverhältnis zwischen Zentrum und Peripherie. Gemeinhin wird dies als europäisches Institutionengefüge bezeichnet. Hierin nimmt das Europäische Parlament in vielen Politikbereichen lediglich die Rolle des Zuschauers ein. Kaum bekannt ist, dass neben dem EP eine andere legislative Institution aktiv ist: der nach Fachbereichen unterteilte Ministerrat. Die Räte sind aber alles andere als eine zweite parlamentarische Kammer. Denn in diesen handeln ausschließlich Mitglieder nationaler Exekutiven, wie Bundesinnenminister Schäuble (CDU).

In dessen Rat bemüht man, wie ich eingangs, ebenfalls den Rückgriff auf die Geschichte. So wird im Rat nicht nur einstimmig entschieden, nein, als Arbeitsgrundlage dienen darüber hinaus Fünfjahrespläne. Den ersten entwickelten die europäischen Innen- und Justizminister 1999 im finnischen Tampere, fünf Jahre später folgte das Haager Programm. Ziel dieser »Pläne« ist die Koordination europäischer Innen- und Justizpolitik. Wer jetzt richtig gerechnet hat, kommt zu dem Ergebnis, dass in diesem Jahr der dritte Fünfjahresplan erstellt wird. Seit über einem Jahr arbeitet im Verborgenen eine Zukunftsgruppe am Stockholmer Programm. Der Name weist bereits aus, wann es im zuständigen Rat beschlossen werden soll. Der gebeutelten tschechischen Ratspräsidentschaft wollte man – wie vorausschauend – nicht die Hoheit über den Abschluss der Verhandlungen geben. Und so wird erst unter schwedischem Vorsitz am 1. Dezember das Stockholmer Programm beschlossen.

Während die EU-Parlamentarier um ihre Mandate kämpfen, nutzt die »zweite legislative Kammer« die Lücke zwischen Neuwahl und Konstituierung des EP, um letzte Hand an das Programm zu legen. In der letzten Woche wurde im Bundestag zwar von der Koalition bestritten, dass der Abschlussbericht der Zukunftsgruppe mehr als nur ein Vorschlag sei, Kenner der Szene wissen jedoch, dass über 80 Prozent davon in das Stockholmer Programm übernommen werden dürften. In diesem Monat wird sich die Europäische Kommission zu dem Bericht positionieren.

Argumentative Grundlage für den Ausbau polizeilicher, militärischer und geheimdienstlicher Kooperation ist erneut der »Kampf gegen den internationalen Terrorismus«. Trotz des Scheiterns des Lissaboner Vertrags halten die Regierungen daran fest, das Überwachungsnetz engmaschiger zu weben. So stehen ein zentrales europäisches Bevölkerungsregister, eine grenzüberschreitende Onlineüberwachung und eine stärkere Internetüberwachung zur Debatte. Eher vage wird indes über die wechselseitige Abhängigkeit von innerer und äußerer Sicherheit philosophiert. Man kann daraus auch den Einsatz von Militär im Innern der EU herauslesen. Neben der satellitengestützten Kontrolle der EU-Außengrenzen sollen polizeiliche Datenbanken stärker vernetzt und für Geheimdienste geöffnet werden. Doch anstatt auf ein Trennungsgebot auch in der EU zu drängen, beteiligt sich Schäuble ungeniert an der Aufweichung dieser Lehre aus der deutschen Geschichte. Auch die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX soll aufgewertet und so die Zuwanderung gestoppt werden. Angesichts dieser Politik sollte endlich die Auflösung der Räte gefordert werden. Allen Sympathien für die Räte der (kommunistischen) Vergangenheit zum Trotz.