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  • Die LINKE in Berlin zwischen den Turbulenzen von Wechseln und Wahlkampf

Landes-Realos gegen Bundes-Fundis?

Klaus Lederer über Rot-Rot, eine widersprüchliche Situation und Feigheit vor Kompromissen

  • Lesedauer: 6 Min.
Ungewöhnlich reges Kommen und Gehen beherrscht seit Tagen die Berliner Politik. Die LINKE verlor ihren Genossen Carl Wechselberg als Partei-, jedoch nicht als Fraktionsmitglied. Die ohnehin nicht üppige Mehrheit der rot-roten Koalition schrumpfte erst auf eine Stimme, wurde dann wieder hergestellt. Ein SPD-Fraktionsmitglied wechselte zur den Grünen und umgekehrt. Sind auch die alten Mehrheiten wieder hergestellt, bleibt es doch spannend. Vor einer Beratung mit Parteitagsdelegierten am Montag und Gesprächen mit der Basis befragte den Berliner Landesvorsitzenden Klaus Lederer für ND Klaus Joachim Herrmann.
Die LINKE in Berlin zwischen den Turbulenzen von Wechseln und Wahlkampf: Landes-Realos gegen Bundes-Fundis?

ND: Steht Rot-Rot in Berlin wieder auf sicheren Füßen?
Lederer: Seit zweieinhalb Jahren gibt es zwei Stimmen Mehrheit, die haben wir jetzt wieder. Möglicherweise haben die Ereignisse der vergangenen Tage die Verantwortung jedes Einzelnen noch einmal besonders deutlich werden lassen.

Wenn es um die Koalition geht, geht es auch um Carl Wechselberg. Hat er einen Grundkonflikt deutlich gemacht zwischen dem Berliner Landesverband und der Bundeslinken – Berliner Realos gegen Bundes-Fundis?
Das sehe ich nicht so. Die Debatten um das Wahlprogramm sind allerdings Ausweis für eine widersprüchliche Situation. In der Partei erleben wir, dass einzelne Strömungen der Gesamtpartei ihr Profil überhelfen wollen. Dazu gehören radikal klingende Rhetorik und der Versuch, soziale Bewegungen zu simulieren, wo sie real nicht vorhanden sind. Etwas in den Hintergrund rutscht dabei alltagstaugliche Politik, die hier und jetzt auf die Veränderung der Gesellschaft zielt.

Geht es also um den Wunsch nach Fundamentalopposition und das Streben, halbwegs ordentlich zu regieren?
Oskar Lafontaine will der Partei ein unverwechselbares Profil geben. Das ist völlig richtig und schließt Alltagspolitik ein.

Wenn du Politik machen willst, musst du immer auch über Bündnisse nachdenken, um gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Kräften tatsächlich wirksam zu werden. Das scheint nicht parteiweit Allgemeingut zu sein. In überheblicher Selbstgewissheit äußert sich aber letztlich eine Feigheit, schwierige Auseinandersetzungen um Kompromisse anzunehmen. So etwas führt in die gesellschaftliche Isolation.

Und es gibt die Tendenz zu sagen: Wo die Konkurrenz unsere Forderungen übernimmt, bleiben wir nur glaubwürdig, wenn wir unsere Forderungen quasi verdoppeln. Das ist zu einfach. Am Ende bleibt dann nur die Bekenntnisfrage: Bist du für oder gegen den Frieden, Genosse? So etwas tötet offene Debatten und lähmt das Handeln im Interesse besserer Lebensbedingungen vieler Menschen.

Könnte die LINKE auf Bundes- oder Landesebene ein frühes Opfer des beginnenden Wahlkampfes werden?
Geschlossenheit ist für Wählerinnen und Wähler ein hohes Gut. Viel von dem, was die SPD jetzt redet, hört sich doch verdammt nach dem an, was lange allein von unserer Partei vertreten und als Utopismus verdammt wurde. Nun müssen wir deutlich machen, dass ohne unser Wirken nichts davon Realität werden wird.

Am 18. Mai gibt es eine offene Delegiertenberatung der Berliner Parteitagsdelegierten. Was ist das?
Vor Parteitagen haben wir regelmäßig Zusammenkünfte der Delegierten, in denen die Lage diskutiert wird. Jetzt wollen wir uns über den Wahlprogrammentwurf verständigen – eine gute Wahlkampfgrundlage, finde ich.

Der Landesvorstand hat angekündigt, er wolle mit der Basis reden. Oder will die Basis mit dem Vorstand reden?
Wir tauchen nicht ab, auch wenn's mal schwieriger ist. In einer veränderten Situation ist es nur natürlich, sich miteinander zu beraten. Wie gestalten wir Rot-Rot als alternatives Projekt politischer, an welchen Stellen müssen wir zulegen und besser werden? Vor uns liegen wichtige Vorhaben: Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst, Schulreform und vieles mehr.

Geht es auch um ein bisschen mehr Gebrauchswert und Schauwert, vielleicht ein kostenloses Sozialticket?
Bestimmte Entscheidungen werden natürlich einzelnen Koalitionspartnern zugerechnet, das jetzige Sozialticket etwa der LINKEN. Aber in den nächsten Monaten werden sicher in Berlin die existenziellen Ängste zunehmen. Wie reagieren wir darauf, auf Einbrüche bei den Steuereinnahmen, auf verschärfte soziale Widersprüche als Konsequenz der wirtschaftlichen Krise?

Die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt, der Teilhabe Aller am gesellschaftlichen Leben, ist für uns zentral. Priorität hat hier gerade die Ausstattung der Bezirke mit ausreichend Mitteln für die gesamte soziale und kulturelle Infrastruktur – von Kinderschutz über Obdachlosen-Kältehilfe bis zu den Bibliotheken. Hier stehen wir vor einem ernsthaften Konflikt mit der SPD. Symbolische Signale sind wichtig. Aber wenn alles wegbricht, retten sie nichts.

Mit der Basis wird ja auch über den 1. Mai zu reden sein. Hat euer Genosse Kirill Jermak mit der Anmeldung der Revolutionären 1. Mai-Demo, die dann aus dem Ruder lief, das friedliche Image der Linkspartei in Berlin versaut?
Auch Linke sollen Demonstrationen anmelden. Wir haben da eine gute Tradition – bei Protesten gegen Nazis, gegen Sozialabbau, Totalüberwachung oder auch gegen Krieg. Wichtig ist aber, dass man Einfluss auf das hat, was sich auf solchen Demonstrationen abspielt. Es muss dabei deutlich bleiben, dass für uns Gewalt kein Mittel der politischen Auseinandersetzung ist. Das ist ja Konsens. Dann ist es nicht akzeptabel, wenn Funktionsträger durch ein anderes Verhalten die LINKE in Mithaftung nehmen.

Kirill Jermak hat die Demonstration nicht gemacht, er hat sie angemeldet.
Wer eine Demonstration anmeldet, muss sich seiner Verantwortung bewusst sein. Wenn ein Bündnis im Vorhinein erklärt, es wolle einen »Blutmai«, es wolle den Zusammenstoß mit der Polizei in Kreuzberg inszenieren, dann hat ein Anmelder aus unserer Partei ein Problem. Da muss deutliche Distanz her. Die Kreuzberger finden das im Übrigen auch nicht lustig...

Nun heißt es, dass nach diesem 1. Mai die Einigung mit den Personalvertretungen über eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte wieder auf der Kippe stehe. Seit inzwischen anderthalb Legislaturperioden versucht sich Rot-Rot schon an dieser Kennzeichnungspflicht. Jetzt klingt das allerdings nach fauler Ausrede.
Bei der Kennzeichnungspflicht müssen wir die Interessenvertretungen der Beschäftigten und die Gewerkschaft der Polizei mit ins Boot holen. Wir drängen seit 2002 darauf, die individuelle Kennzeichnung einzuführen. Das hat sich als eines der schwersten Vorhaben überhaupt erwiesen. Über den friedlichen Verlauf der Demonstration in den letzten Jahren hatte sich da durchaus ein Fenster geöffnet. Wir sind jetzt faktisch in Mithaftung für den gewaltsamen Verlauf dieses 1. Mai. Es ist klar, dass auch versucht wird, diese Verantwortung uns gegenüber politisch zu instrumentalisieren – nicht nur von der CDU. Das wirft uns in solchen Auseinandersetzungen natürlich zurück. Ist das so verwunderlich?

Wird das doch noch was?
Das kann ich nicht sagen. Der Wille allein reicht jedenfalls nicht aus.

Aber gegen Pro Reli hat es geklappt, Ethik ist geblieben. Sorgt das für ein bisschen Optimismus?
Das war ein großartiger Erfolg! Schade, dass wir nicht die Zeit hatten, ihn zu genießen. Es gab ein starkes Engagement in unserer Partei. Bewiesen wurde, dass eine noch so große Materialschlacht von Großkirchen, CDU und FDP nicht genügt, um die Berlinerinnen und Berliner von einem politischen Kampagnenziel zu überzeugen, das nicht ihren Nerv trifft. Das bestätigt natürlich auch unser erfolgreiches Engagement für Volksentscheide in Berlin.

Gegen Pro Reli waren sich die Genossen einig, jetzt kommen die Wahlkämpfe.
Wir sind uns einig, dass die LINKE gestärkt in das Europaparlament und den Bundestag einziehen muss. Dafür haben wir gute Grundlagen. Jetzt sollten wir nicht das Spiel spielen: Wer ist der Linkeste von uns? Wir brauchen uns nicht selbst zu bequatschen. Es muss doch darum gehen, auf die Leute zuzugehen, ihnen zuzuhören, ihre Sorgen zu transportieren – sie haben Erwartungen an uns! Das muss uns wieder gelingen und das können wir schaffen.

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