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»Raus aus Colombo!«

Mit dem Ende des offenen Krieges zieht in Sri Lanka kein Frieden ein

  • Carla Lee, Colombo
  • Lesedauer: 7 Min.
Der 25-jährige Bürgerkrieg in Sri Lanka wurde diese Woche offiziell für beendet erklärt. Die Hoffnung auf eine wirkliche Versöhnung zwischen singhalesischer Mehrheit und tamilischer Minderheit ist jedoch gering, denn auch außerhalb des Kampfgebietes wurden Tamilen auf der Insel bisher verfolgt und diskriminiert.
Der Abgeordnete Mano Ganeshan hat eine Bürgerkommission gegen Entführungen gegründet.
Der Abgeordnete Mano Ganeshan hat eine Bürgerkommission gegen Entführungen gegründet.

»Ich bin meines Lebens nicht mehr sicher. Sie werden mich töten, wenn ich nicht tue, was sie von mir verlangen«, schluchzt der 30-jährige Lackshman (Name geändert), ein Tamile mit Universitätsabschluss. Den ganzen Körper voller Foltermale, ist er froh, dass ihn seine Entführer am Leben gelassen haben. Viele seiner Schicksalsgefährten werden nie mehr nach Hause zurückkehren. Und auch er ist gewarnt. Er müsse die srilankische Hauptstadt »innerhalb von Tagen« verlassen, hat man ihn gewarnt.

Nach Colombo war Lackshman im Jahre 2005 gekommen. Damals hatte er Jaffna verlassen, die Halbinsel an der Nordspitze Sri Lankas. Viele seiner Freunde waren dort von Unbekannten erschossen worden. Seitdem arbeitet er in Colombo in einem Laden, der mit einer tamilischen Partei verbunden war, die paramilitärische Kräfte unterhält. Im April 2008 von der Polizei verhaftet, wurde Lackshman ohne Anklage zwei Monate lang festgehalten, mehrfach misshandelt, schließlich jedoch auf freien Fuß gesetzt. Die Polizei warnte ihn: »Du kannst uns nicht entkommen. Wir wissen, wo du arbeitest. Wir werden dich beobachten.«

Lackshmans Leidensweg war damit nicht zu Ende. Der Brief einer unbekannten Gruppe, der ihn trotz Wohnungswechsels erreichte, enthielt eine unmissverständliche Drohung: »Warum bist du nach Colombo gekommen? Verschwinde! Oder du wirst bestraft.« Die Gruppe behauptete, sich um »Verräter« zu kümmern. Aber Lackshman nahm die Drohung zunächst nicht ernst – bis er Ende vergangenen Jahres einen zweiten Brief erhielt. Diesmal setzte man ihm eine letzte Frist für das Verlassen Colombos.

»Eines Tages im Februar kam ich gegen 21 Uhr vom Abendessen. Einige STF-Beamte (Spezialkräfte der Polizei) riefen mich zu sich, stießen mich in einen Wagen und stülpten mir eine Maske übers Gesicht.« Lackshman wurden zehn Stunden lang umhergefahren, zweimal musste er das Auto wechseln. Beim zweiten Mal übergab man ihn Leuten, die perfekt Tamilisch sprachen. Wohl werden in Sri Lanka zwei Sprachen gesprochen, doch nur wenige Einwohner beherrschen beide – Singhalesisch und Tamilisch. Die meisten sprechen ausschließlich ihre Muttersprache.

Der Entführte wurde mit Elektroschocks gefoltert, sein Körper überzog sich mit brennenden Narben. »Ich flehte sie an, mir noch eine Chance zu geben.« Schließlich fuhren die Entführer ihr Opfer in einem Wagen in einen Außenbezirk Colombos und setzten ihn dort aus. Es war früh am Morgen, die Stadt lag noch im Dunkel. Lackshman hatte überlebt, doch Colombo sollte er unter Androhung schwerer Strafe verlassen.

Freie Fahrt nur für den »Weißen Van«

An keiner der zahlreichen Straßensperren wurde das Fahrzeug – ein weißer Van – der Entführer gestoppt. Die »Entführungseinheit«, offensichtlich aus Polizisten und tamilischen Paramilitärs bestehend, konnte sich frei bewegen. »Wir nennen das ›systematische Entführungen zur Eliminierung von Tamilen‹«, erklärt der unabhängige tamilische Parlamentsabgeordnete Mano Ganeshan. »Wie Sie sehen, sind überall Straßenkontrollen. Aber nie hat jemand gehört, dass irgendein ›Weißer Van‹ angehalten oder ein Entführer verhaftet worden wäre. Muss man da nicht annehmen, dass diese Entführungen mit dem Einverständnis der Behörden geschehen?« Ganeshan gibt sich unerschrocken – trotz der unablässigen Drohungen unterschiedlichster Gruppen. Sein Freund Nadaraja Raviraj, Abgeordneter für Jaffna, wurde ermordet, nachdem das Abgeordneten-Duo vor zwei Jahren eine Bürgerkommission zur Beobachtung der Entführungen gegründet hatte.

»Es ist allgemein bekannt, wer die Entführer sind. Gerade das aber flößt potenziellen Zeugen Furcht ein, was wiederum ein Grund dafür ist, dass keiner dieser Fälle gelöst wurde. Das ist offensichtlich. Aber wenn man es ausspricht, wird man bedroht«, sagt Lal Wikrematunga, Chef der Wochenzeitung »Sunday Leader«.

Aus Angst werden viele Fälle nicht gemeldet

Laut Human Rights Watch wurden zwischen 2005 und 2007 mehr als 1500 Menschen als vermisst gemeldet. »Viele Fälle werden nicht gemeldet – aus Angst vor Repressalien«, heißt es. Die Schätzungen der Bürgerkommission gegen Entführungen liegen deshalb weit höher. Sie besagen, dass nur in Colombo und Vororten über 400 Menschen vermisst wurden, seit die Regierung unter Präsident Mahinda Rajapakse im November 2005 ihr Amt übernahm. Vornehmlich im Norden und Osten seien im gleichen Zeitraum 4000 Menschen entführt worden, die große Mehrzahl waren Tamilen.

»Während des Friedensprozesses bis 2005 war den Befreiungstigern von Tamil Eelam (LTTE) erlaubt worden, Büros in Gebieten unter Regierungskontrolle einzurichten. Die Guerillagruppe sollte sich in eine demokratische politische Partei umwandeln. Diese Büros organisierten verschiedene Veranstaltungen, was von der damaligen Regierung und der internationalen Gemeinschaft unterstützt wurde. Die Veranstaltungen wurden gefilmt oder mitgeschnitten. Wir haben inzwischen festgestellt, dass viele Teilnehmer solcher Veranstaltungen verschwunden sind«, berichtet der Abgeordnete Mano Ganeshan.

Auch Lackshman hatte »gestanden«, dass er »gezwungen« worden sei, im Jahre 2002 an einem Programm der LTTE teilzunehmen. Gemeinsam mit 50 weiteren Teilnehmern war er auf dem Weg ins damalige Kernland der LTTE am Kontrollpunkt Huhamalai von der Armee fotografiert worden. er hatte jedoch passieren dürfen.

Als sich die Gewalt nach 2005 wieder ausbreitete, wurden die LTTE-Büros geschlossen. Die Teilnehmer der Veranstaltungen blieben jedoch zum größten Teil in den von der Regierung kontrollierten Gebieten. Einige zogen nach Colombo, um der Gewalt zu entkommen und Arbeit zu suchen. Aber Colombo ist keine »sichere Zone«, schon gar nicht für Tamilen. Unter dem Vorwand, eine Infiltration der LTTE zu verhindern, zwang die Regierung alle Tamilen in Colombo – egal wie lange sie dort schon ansässig waren –, sich bei der Polizei zu melden und die Nummern ihrer Bankkonten preiszugeben. In einem Meldepapier, das an Straßensperren oder bei Razzien vorzuweisen war, wurden die »Gründe für den Aufenthalt«, die »beabsichtigte Aufenthaltsdauer« und andere Informationen vermerkt. Anzunehmen ist, dass diese Angaben auch den »Entführungseinheiten« zur Verfügung stehen, die daher wissen, wo sich ihre Opfer aufhalten. Ebenso wird angenommen, dass die Entführer die Informationen benutzen, um von tamilischen Geschäftsleuten Lösegeld zu erpressen.

Nirgends können Tamilen sicher sein

»Ich hatte große Angst, als Sicherheitskräfte unser Haus durchsuchten. Ich verstehe kein Singhalesisch, wie es die Polizisten sprechen. Mit mir zusammen leben nur meine drei Töchter. Mein Mann, Busfahrer von Beruf, wird seit dem 10. Januar 2007 vermisst. Nachbarn haben beobachtet, wie er damals in der Nähe unseres Hauses von Beamten ergriffen wurde.« Eine Tamilin erzählt dies in einem Außenbezirk Colombos. Sie stillt ihr zwei Jahre altes Mädchen, das geboren wurde, nachdem ihr Vater verschwunden war.

Ob im Norden oder in den für »sicher« erklärten Gebieten, ob in den mit Stacheldraht umzäunten Flüchtlingslagern, den von Paramilitärs unsicher gemachten östlichen Provinzen oder in Colombo – nirgends scheint sich die tamilische Minderheit unter menschenwürdigen Bedingungen niederlassen zu können.

Das zeigt auch der Fall des 25-jährigen Sampanthan (Name geändert), der Anfang 2008 von der Polizei in Petta, einem Bezirk von Colombo, verhaftet wurde. Bei einer Routine-Kontrolle hatte er seinen Pass nicht vorweisen können. Die Polizei hielt ihn drei Monate lang ohne Anklage in Haft. Nachdem seine Familie alle Dokumente einschließlich des Passes vorgelegt hatte, wurde er entlassen. Doch den Pass erhielt er nicht zurück. »Mein Bruder ging zwei Mal vergeblich zur Polizeistation, um nach dem Pass zu fragen. Also beantragte er einen neuen. Nur wenige Minuten, nachdem wir am 10. Mai 2008 noch miteinander telefoniert hatten, wurde er in Petta von drei Personen in Zivil, die in einem weißen Van gekommen waren und sich als Kriminalbeamte ausgaben, entführt. Das erzählten mir Zeugen später.« Eehai (Name geändert) glaubt, dass sein Bruder immer noch im Gewahrsam der Geheimpolizei CID ist, weil mutmaßliche CID-Männer am Tag nach der Entführung alle seine Dokumente beschlagnahmten. Auf die Frage, ob er versuchte habe, in einem CID-Büro nachzufragen, sagt er erstaunt: »Sie wissen doch, dass ich Tamile bin. Wie könnte ich das tun!«

Jetzt, da die Regierung die LTTE militärisch besiegt hat, fürchten die Tamilen in Colombo und anderen Teilen des Landes, wo sie in der Minderheit sind, eine noch stärkere Unterdrückung als bisher.

»Die Zerschlagung der LTTE bedeutet, dass die politische Lösung, die unbedingt benötigt wird, um den Konflikt zu beenden, in noch weitere Ferne rückt«, erklärt ein Aktivist der Tamilen in Colombo. »Die LTTE ist etwa 30 Jahre alt. Die Wurzeln des Konflikts auf der Insel reichen 60 Jahre zurück. Der militärische Weg zur ›Lösung‹ eines politischen Problems führt nicht zu diesen Wurzeln«, betont ein anderer Aktivist, ein Singhalese. Doch nicht viele seiner Landsleute teilen derzeit seine Meinung.

An keiner der vielen Straßenkontrollen in Colombo (oben) wird der »Weiße Van« gestoppt.
An keiner der vielen Straßenkontrollen in Colombo (oben) wird der »Weiße Van« gestoppt.
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