nd-aktuell.de / 28.05.2009 / Politik / Seite 4

»Löschen vor Sperren«

Sachverständige bemängeln Gesetz zu Kinderpornografie im Netz

Ines Wallrodt
Im Streit um Internet-Sperren zur Bekämpfung von Kinderpornografie will Familienministerin Ursula von der Leyen im Grundsatz bei ihren Plänen bleiben. Bei einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestages äußerten Experten am Mittwoch in Berlin erhebliche Bedenken zu dem von Union und SPD eingebrachten Gesetzentwurf.

Keine andere elektronische Petition war bisher so erfolgreich: Mittlerweile fast 99 000 Menschen wollen die geplanten »Stoppschilder« für Webseiten mit Kinderpornografie stoppen. Die Hälfte davon unterzeichnete die Beschwerde binnen der ersten vier Tage. Als Alternative fordern die Sperrgegner, kinderpornographische Angebote im Internet gleich ganz zu löschen, statt sie hinter einem »Vorhang« zu verstecken, der leicht zu umgehen sei. Die Kritiker des Vorhabens können sich gestärkt fühlen: Bei der gestrigen Anhörung im Wirtschaftssausschuss überwogen die skeptischen bis ablehnenden Stimmen. Die Experten hinterfragten die Wirksamkeit der Sperren und kritisierten Unbestimmtheit sowie fehlende Kontrolle der Maßnahme.

Mit dem Gesetz will die Koalition große Internet-Anbieter verpflichten, Seiten mit strafbaren Inhalten zu sperren. Das Bundeskriminalamt (BKA) soll ihnen täglich eine aktualisierte Liste liefern. Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) verspricht, damit einen Großteil der Zugriffe auf kinderpornografische Inhalte im Internet verhindern zu können (Foto: dpa).

Experten bestreiten diese Erfolgsaussichten: Allenfalls »symbolisch« nannte Strafrechtler Ulrich Sieber in Berlin die wahrscheinliche Wirkung der Sperren. Die Medienwissenschaftlerin Korinna Kuhnen, die sich mit dem illegalen Markt um die Kinderpornografie befasst, hält zwar »Teilerfolge« für möglich, warnte jedoch vor einer Fehlentwicklung: »Löschen vor Sperren« müsse unbedingt in der neuen, gesetzlichen Regelung verankert werden. In den meisten europäischen Ländern sei Kinderpornografie und ihre Verbreitung im Netz strafbar. Ähnlich äußerte sich auch Bundesrichter Peter-Jürgen Graf: Kinderpornografische Inhalte, welche auf in Deutschland liegenden Servern abgespeichert sind, dürften »allenfalls unter besonderen Umständen Bestandteil der vom Bundeskriminalamt geführten Sperrliste sein«.

Dass das Löschen sehr aufwendig sei, wies der Arbeitskreis gegen Zensur, zu dem unter anderem auch der Chaos Computer Club (CCC) gehört, zurück. Auf seine Initiative hin seien innerhalb von nur zwölf Stunden europaweit 60 Internet-Angebote von den informierten Providern gelöscht worden.

Vor allem die Rolle des BKA stieß am Mittwoch auf heftige Kritik. Nach dem bisherigen Entwurf kann es allein entscheiden, wer auf die schwarze Liste gehört. Die Sachverständigen forderten eine richterliche Anordnung bzw. Überprüfung der durch die Polizei erstellten Liste. Dass eine Polizeibehörde und nicht ein Richter solche Abwehrmaßnahmen durchführen lasse, sei »verfassungsrechtlich sehr kritisch«, sagte Ulrich Sieber. Gruppen wie der CCC fürchten unter anderem deshalb, dass mit den Kinderpornografie-Sperren eine unkontrollierbare Infrastruktur geschaffen wird, mit der sich auch andere Seiten zensieren lassen.

Als Reaktion auf die Kritik kündigte die Familienministerin die Gründung eines unabhängigen Gremiums an, das die Zusammenstellung der Liste überwachen soll.