Mittendrin im Nirgendwo

Für viele Jugendliche wird die Ausbildungsplatzsuche zum Aufenthalt in einer Endlosschleife

  • Jens Thomas
  • Lesedauer: 4 Min.
SERIE: MIT BILDUNG AUS DER KRISE? Bildung ist der sicherste Schutz vor Arbeitslosigkeit – die derzeitige Weltwirtschaftskrise scheint dieses Diktum zu betätigen. Bildung ist nicht mehr nur der Schlüssel für Wohlstand, sondern zunehmend eine Art »Lebensversicherung« gegen den sozialen Abstieg. Der Druck auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem nimmt längst auch innerhalb der Mittelschicht zu. Wer profitiert von solchen Entwicklungen, welche Personengruppen bleiben ausgeschlossen und wie verändert sich unser Verständnis von Bildung? In einer neuen Reihe beschäftigt sich ND mit diesen Fragen.
Ohne Durchgangszimmer
Ohne Durchgangszimmer

Seinen richtigen Namen möchte Arthur B lieber nicht nennen. Arthur B. ist 17 Jahre alt, er hat einen Hauptschulabschluss in der Tasche, er hat sich nach dem Abschluss um eine Ausbildungsstelle bemüht – gefunden hat er nichts. »Ich habe mich als Maler und Lackierer beworben«, sagt der Berliner aus dem Stadtteil Kreuzberg. Derzeit nimmt Arthur B. an einem einjährigen Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) teil. »Ich hoffe, dass mir das irgendetwas bringt«. Motiviert wirkt Arthur B. nicht.

Arthur B. ist einer von einer halbe Million Jugendlichen, die sich nach dem Verlassen der Schule im sogenannten Übergangssystem befinden. Das sind rund 40 Prozent derjenigen, die sich erstmals um einen Ausbildungsplatz bemühen. Den Hauptanteil der Angebote stellten 2006 mit 188 230 Teilnehmern oder 37 Prozent die »ein- und zweijährigen Berufsfachschulen«, die keinen beruflichen Abschluss vermitteln, aber neben dem Erwerb beruflicher Grundkenntnisse die Chance zum Nachholen eines allgemeinbildenden Abschlusses eröffnen sollen.

Arthur B. verspricht sich nicht sonderlich von solchen Maßnahmen. Insgesamt, so resümiert der Berufspädagoge Günter Ratschinski in seinem Buch »Diesseits vom Abseits«, hätten sich die berufsvorbereitenden Maßnahmen der staatlichen Arbeitsverwaltung bislang als erfolgreicher erwiesen als die schulischen Berufsvorbereitungsjahre. Der Berufsbildungsbericht 2009 kommt zu dem Schluss, dass von der größten Gruppe der Teilnehmer am Übergangssystem, den Jugendlichen mit und ohne Hauptschulabschluss, nur einem Drittel im Laufe von 18 Monaten die Einmündung in eine vollqualifizierende Ausbildung gelingt. Zweieinhalb Jahre nach Schulende hat sich dieser Anteil immerhin auf 50 Prozent erhöht.

Ostdeutsche und Migranten besonders betroffen

Die Ausbildungsplatzsuche wird für viele Jugendliche zur Endlosschleife und das Übergangssystem zum temporären Auffangbecken. Am wenigstens gelingt der Sprung in die Berufswelt schließlich denen, die eine Berufsfachschule ohne Abschluss besuchen: über die Hälfte ist nach 18 Monaten noch im Übergangssystem, am meisten betrifft das die Berufsfachschüler, was mit der häufig zweijährigen Dauer vieler Berufsfachschulen ohne Abschluss zusammenhängen mag. Insgesamt befinden sich zweieinhalb Jahre nach Schulabschluss drei Viertel aller Jugendlichen in einer vollqualifizierenden Ausbildung. Bei den Jugendlichen mit und ohne Hauptschulabschluss sind es 60 Prozent. Gerade für ostdeutsche Jugendliche, vorwiegend männliche, und junge Migranten ist die Lage schwierig, sie sind die Verlierer auf dem deutschen Ausbildungsmarkt. Die Arbeitslosenquote ist unter ostdeutschen Jugendlichen und Jugendlichen mit Migrationshintergrund heute in etwa doppelt so hoch wie bei anderen Gleichaltrigen. Insgesamt liegt die Jugendarbeitslosigkeit derzeit zwar nur noch bei 7,6 Prozent, doch die Wirtschaftskrise dürfte die Zahl rasch steigen lassen. Jugendarbeitslosigkeit ist spätestens seit den 1990er Jahren zu einem zentralen Problem geworden, gerade Jüngere haben heute ein doppelt so hohes Risiko arbeitslos zu werden, wenn sie auch seltener langzeitarbeitslos sind. Einen ersten Scheitelpunkt erreichte die Jugendarbeitslosigkeit in den Krisenjahren ab 1982 – seit 1993 ist das Angebot an Lehrstellen stark zurückgegangen und die Nachfrage der Jugendlichen aus demografischen Gründen gestiegen. Im letzten Jahr hat sich das Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt dann zwar demografiebedingt leicht verbessert. Es wurden dennoch 9626 Verträge oder 1,5 Prozent weniger abgeschlossen als im Jahr zuvor.

Ein gravierendes Problem bleibt seit Jahren die hohe Zahl der sogenannten Altbewerber. Ihr Anteil lag schon 2006 bei 50 Prozent, 2007 sogar bei über 50 Prozent aller Bewerber. Diese Jugendlichen bewerben sich häufig mehrfach und müssen zudem mit Erstbewerbern konkurrieren. So wie Arthur B. sind viele dieser Jugendlichen dann skeptisch, wenn sie von irgendwelchen Maßnahmen hören, die nicht einmal einen Berufsabschluss vermitteln. Bei Menschen ohne beruflichen Abschluss lag die Arbeitslosenquote 2005 schließlich bei 23 Prozent. Sie ist damit mehr als doppelt so hoch als der Durchschnitt.

Weniger Bundes- und Ländermittel

Zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit wurde im Jahre 2004 der von der Bundesregierung und der Wirtschaft vereinbarte »Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs« geschlossen. Statt der anvisierten Zahl von 30 000 Betriebe fanden sich 52 700 zur Ausbildung bereit und seit 2008 wurde der Ausbildungsbonus als neue Fördermöglichkeit im SGB III verankert: dieser gilt bis Ende 2010 mit dem Ziel, den hohen Altbewerberbestand abzubauen. Mit Beginn des Ausbildungsjahres 2008/2009 bis Ende Februar 2009 konnten bislang auch 12 700 Anträge auf Zahlung des Ausbildungsbonus bewilligt werden und im Rahmen des »Ausbildungsplatzprogramm Ost« wurden rund 7000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen. Was aber ändern diese Zahlen am eigentlichen Problem von rund einer halben Million sich auf der Ausbildungsplatzsuche befindlichen Jugendlichen?

Seit 1998 wurden die eingesetzten Bundes- und Ländermittel zur Förderung sogar mehr als halbiert und die Anzahl der Geförderten ist von 36 500 auf 28 500 gesunken. Ohnehin können die Maßnahmen zur Zwischenunterbringung von Jugendlichen auf dem Ausbildungsmarkt eines nicht leisten: sie wirken kaum motivierend auf Jugendliche, wenn die Maßnahmen nur Notnägel sind und nicht einmal selbst gewählt wurden. In einer Zeit, in der Flexibilität und Eigeninitiative zählen, sich Jugendliche stetig orientieren und umorientieren müssen, können sie kaum auf den Arbeitsmarkt vorbereiten.

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