nd-aktuell.de / 03.06.2009 / Politik / Seite 8

Getrennte Feste zur Würdigung der Freiheit

Polen 20 Jahre nach den Juni-Wahlen 1989

Julian Bartosz, Wroclaw
Polen war der erste sozialistische Staat, in dem sich im Wendejahr 1989 die Verschiebung der realen Machtverhältnisse auch institutionell niederschlug. Das begann mit der Parlamentswahl vor 20 Jahren.

»Am 4. Juni 1989 ist in Polen der Kommunismus zu Ende gegangen« – dieser mit fröhlichem Lächeln im Fernsehen tausendfach präsentierte Spruch der bekannten Schauspielerin Joanna Szczepkowska gilt seit zwei Jahrzehnten als treffendste Charakterisierung des Ausgangs der »halbwegs freien« Wahlen 1989 in Polen.

Dieser Spruch gehört zu den »Lügen des 20. Jahrhunderts«. Den Kommunismus hat es schließlich nie gegeben, auch die »entwickelte sozialistische Gesellschaft« stand in dem der Sowjetunion untergeordneten Raum nur in Parteidokumenten. Was da wirklich ausgedient hatte, war der sich auf dem »Wege vom Kapitalismus zum Sozialismus« befindliche sozial-fürsorgliche staatskapitalische Einparteienstaat.

Mit dem überzeugenden Sieg der am Runden Tisch (Februar bis April 1989) wieder zugelassenen »Solidarnosc«, die im Rahmen der vereinbarten Wahlordnung alle der Opposition zugestandenen 35 Prozent der 460 Sejmsitze und 99 Prozent der Sitze im frei gewählten Senat errang, wurden in wenigen Monaten mit einer »kleinen Verfassung« die 45 Jahre der Volksrepublik Polen aus der Geschichte gelöscht. Die noch eine »soziale Marktwirtschaft« betonende Übergangsregierung unter Tadeusz Mazowiecki wurde im folgenden Jahr durch ein anderes Kabinett ersetzt und läutete mit einer totalen Abkehr von den Vereinbarungen des Runden Tisches die kapitalistische »III. Polnische Republik« ein.

Auf diese Weise wurde die polnische Geschichte vergewaltigt. Als Erste Republik galt der Adelsstaat mit seinen Wahlkönigen vom Ende des 16. Jahrhunderts bis zur dritten Teilung Polens im Jahre 1795. Die Jahre 1918 bis 1939 wurden als Zweite Republik gerechnet, und nun sollte – als hätte es die Volksrepublik Polen von 1944 bis 1989 überhaupt nicht gegeben – die Dritte Republik beginnen.

Den Plan Leszek Balcerowiczs, des Finanzministers von 1989 bis 91 – nach Diktat des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank mit der Privatisierung und/oder Liquidierung ganzer Industriezweige, Massenarbeitslosigkeit und wildem Kapitalismus – kann man durchaus als Machtübernahme des Kapitals bezeichnen. Egal ob acht Solidarnosc-Regierungen die Geschäfte führten oder fünf sogenannte linke Kabinette: Der neoliberale Wirtschaftskurs war immer derselbe. Außenpolitisch marschierten alle Regierungen in Richtung EU, NATO und USA, den »Traum vieler Generationen von Polen« erfüllend. Unterm Strich blieben »20 Jahre Freiheit, Souveränität und Demokratie«.

Diese zu leugnen wäre politisch unkorrekt. Nach allen in der westlichen Welt geltenden Regeln haben wir, formell gesehen, Freiheit, Souveränität und Demokratie im Übermaß. Es war daher geplant, die durch den »Solidarnosc«-Sieg gewonnenen Bürgerrechte in diesem Jahr durch das ganze Volk feiern zu lassen. Und zwar in Gdansk, am »Ort, wo alles begonnen hat«: vor den Toren der Werft.

Angesichts der sich insbesondere im Berg- und Schiffbau verschärfenden Arbeitskämpfe zog es Premier Donald Tusk aber vor, die zum Jubiläum geladenen Gäste, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel, auf die für gewerkschaftliche »Randalierer« unzugängliche Wawelburg in Kraków zu laden: also getrennte Feierlichkeiten zur Würdigung der Freiheit. Die »Gazeta Wyborcza« rief alle Polen auf, in Restaurants, Bars und wo auch immer ein Glas Sekt auf die Demokratie zu erheben und das Lied »Sto lat« (100 Jahre) anzustimmen. So wird’s auch kommen. »Obwohl der Staat seine elementarsten Pflichten nicht erfüllt«, schrieb die Zeitung »Rzeczpospolita«, »haben wir uns daran gewöhnt und ließen uns einreden, dass die Abhängigkeit von fremdem Kapital Freiheit bedeutet«.