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  • Pulverfass Korea: Auf der fernöstlichen Halbinsel spitzt sich die Lage gefährlich zu

Schon Krieg oder noch Waffenstillstand in Korea?

Harte Worte aus Pjöngjang: Abkommen von 1953 nicht mehr bindend

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 4 Min.
Hochspannung im geteilten Korea. Ein Funke nur, und das Pulverfass droht zu explodieren. Nach dem Atomwaffentest am 25. Mai bereitet Pjöngjang nach südkoreanischen Angaben neben einer Interkontinentalrakete mehrere Mittelstreckenraketen zum Abschuss vor. Südkorea seinerseits verlegte ein Schnellboot mit Fernlenkwaffen in die Nähe der Seegrenze vor der Westküste.

Was ist los im Norden der koreanischen Halbinsel, der Demokratischen Volksrepublik Korea, wie sie sich selbst nennt? Wie steht es tatsächlich um den sichtlich abgemagerten und von Krankheit gezeichneten 67-jährigen Führer Kim Jong Il? Den offiziellen Mitteilungen der Nachrichtenagentur KCNA zufolge ist man in Pjöngjang der Überzeugung, die ganze bösartige Welt habe sich gegen einen kleinen friedliebenden Staat verschworen. »Die uns antasten, werden niemals unvorstellbaren, erbarmungslosen Bestrafungen entgehen«, heißt es da in einer Erklärung vom 28. Mai. »Die landesverräterische Bande um Ri Myong Bak (so die nordkoreanische Schreibweise des südkoreanischen Präsidenten Lee Myung Bak – d. Red.) gehorchte blindlings den Forderungen der USA und

›beteiligte sich allseitig‹ rücksichtslos an der ›Initiative zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen‹«.

Das nordkoreanische Komitee für die friedliche Wiedervereinigung, ein oft zitiertes, doch schwer zu identifizierendes Sprachrohr Nordkoreas, legt noch eins drauf: »Die südkoreanische Bande um Ri Myong Bak klammert sich im Komplott mit äußeren Kräften wie besessen an ihre Konfrontation mit unserer Republik und Kriegsmachenschaften gegen sie.« Eben deshalb habe diese »Bande« den unterirdischen Atomtest, der einzig der Selbstverteidigung Nordkoreas gedient habe, zum Vorwand genommen, um offiziell ihre totale Teilnahme an der »Initiative zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen« zu verkünden.

Die beanstandete Initiative (PSI – Proliferation Security Initiative) war 2003 von der US-amerikanischen Bush-Regierung ins Leben gerufen worden, um »Schurkenstaaten« durch die Überwachung von Transporten zu Land, zur See oder in der Luft daran zu hindern, mit Trägermitteln und Nuklearmaterial zu handeln. Unter Präsident Roh Moo Hyun (2003-08), der die »Sonnenscheinpolitik« seines Vorgängers Kim Dae Jung gegenüber Pjöngjang fortgesetzt hatte, war Südkorea der PSI nicht beigetreten. Rohs Nachfolger Lee indes schloss sich der PSI in der vergangenen Woche an. Die Koreanische Volksarmee betrachte dies als »Kriegserklärung«, verlautete danach aus dem Norden. Folglich werde sie auch bei »geringfügigen Feindseligkeiten« mit »sofortigen und mächtigen militärischen Schlägen reagieren« – sollte etwa versucht werden, nordkoreanische Schiffe zu kontrollieren. Pjöngjang lasse sich nicht mehr an das Waffenstillstandsabkommen von 1953 »fesseln«. Anders formuliert: Das am 27. Juli 1953 in Panmunjom zwischen den US-amerikanisch dominierten Truppen der UNO und den Nordkoreanern unterzeichnete Abkommen wird nicht mehr als bindend angesehen, es herrscht wieder Kriegszustand.

Angesichts solcher aggressiven Rhetorik darf die Welt von Glück reden, dass Worte und Taten der Führung in Pjöngjang seit Jahren weit auseinanderklaffen. Mit donnernden Worten haben Staatsgründer Kim Il Sung und seine Erben immer wieder Salz in die tiefen Wunden jenes Krieges zwischen 1950 und 1953 gestreut, in dem beide Seiten mit unbeschreiblicher Grausamkeit versucht hatten, einander von der Landkarte zu fegen. Sowohl US-amerikanische Militärs als auch Kim Il Sung – so sagen es Dokumente – hatten zu diesem Zweck selbst Atomwaffen einsetzen wollen. Doch weder Stalin, an den Kim seine Bitte gerichtet hatte, noch USA-Präsident Harry S. Truman wollten das Risiko eines neuerlichen Weltkriegs eingehen.

Für Nordkorea ist das jüngste Vorgehen ein logischer Akt der Selbstverteidigung. Seit zwei Jahrzehnten – seit dem Ende des sozialistischen Lagers – von wirtschaftlichen Misserfolgen, Hungersnöten und Umweltkatastrophen gezeichnet, fühlt sich Kim Jong Il in die Ecke gedrängt, verstoßen und missachtet. Nur starke Drohgebärden – glaubt er offenbar – können seinem Staat wieder Respekt verschaffen. 2012 steht der 100. Geburtstag des »ewigen Präsidenten« Kim Il Sung im Kalender. Bis dahin will die Staatsführung drei strategische Ziele erreichen: Sie will die wirtschaftlichen Schwierigkeiten ansatzweise überwinden, von der übrigen Welt als Atommacht anerkannt und von den USA als Verhandlungspartner in allen für Gesamtkorea wichtigen Fragen akzeptiert werden. Die USA sind nach nordkoreanischer Lesart für alle Probleme auf der Halbinsel verantwortlich. Ein künftiger Friedensvertrag kann nach nordkoreanischer Auffassung daher nur zwischen Pjöngjang und Washington geschlossen werden. Darin müssten die USA überdies die Kriegsschuld übernehmen. In der Sechserrunde aus Nord- und Südkorea, den USA, China, Russland und Japan ist dies nicht zu erreichen. Da alle bisherigen Versuche gescheitert sind, mit den USA direkt über atomare Abrüstung zu verhandeln, setzt Pjöngjang nun offenbar das Brecheisen an – im Glauben, man könne nichts verlieren.

Viel wird davon abhängen, welchen Einfluss China noch auf Kim Jong Il und seine Getreuen hat. Bisher geschah nichts in Nordkorea ohne stillschweigende Billigung des großen Nachbarn. Doch die chinesische »Global Times« schrieb jüngst bereits von einer »strategischen Bürde«; es sei fraglich, wie lange Pekings Geduld mit dem schwierigen Nachbarn noch ausreiche.

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