Herzlich willkommen in Slubfurt

Die Bürger von Frankfurt (Oder) und Slubice sind sich näher gekommen

  • Steffi Prutean, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Stadtbrücke spannt sich in hohem Bogen über den Fluss. Das Bauwerk steht nicht nur für einen direkten Weg zwischen Frankfurt (Oder) und Slubice und damit über die deutsch-polnische Grenze. Die Brücke hat auch symbolischen Charakter – als Verbindung zwischen den Kommunen, den Menschen und ihren Kulturen. Während die Deutschen Richtung Polen eher eine »Preisgrenze« überschreiten, wie ein Plakat verkündet, locken hochwertige Waren sowie Kultur Menschen aus Slubice auf die westliche Oderseite.

Bis Ende 2007 mussten auf der Brücke Ausweise gezeigt und so mancher Kofferraum geöffnet werden. Das ist so gut wie vergessen. »Wir sind mitten in Europa, und das ist gut so«, sagt ein polnischer Spargelverkäufer. In beiden Städten wählen die Bürger am 7. Juni das Europäische Parlament.

Als die Grenzkontrollen wegfielen, fiel auch manchem ein Stein vom Herzen. Frankfurter und Slubicer begannen, die jeweils andere Seite zu erkunden, über Basare und Läden hinaus. Polen besuchen auf deutscher Seite Konzerte, Ausstellungen, das Schwimmbad. »Wir gehen gern in den Botanischen Garten«, sagt eine junge Slubicerin, die öfter mit ihrer vierköpfigen Familie am westlichen Ufer flaniert.

Niemand dreht sich mehr um, wenn in der deutschen Grenzstadt Polnisch gesprochen wird. Die Schilder mit der polnischen Aufschrift »Jeder Diebstahl wird angezeigt« sind einem »Herzlich Willkommen« gewichen. Die Frankfurter erkunden zunehmend auch das Hinterland von Slubice.

»Europa heißt nicht, sich gegenseitig in die Arme zu fallen«, sagt der Soziologe und Direktor des Collegium Polonicums Slubice, Krzysztof Wojciechowski. Es sei ein schwieriger Prozess, aus alten Bahnen wie Sprache, Kultur und Gewohnheiten auszubrechen. »Wir haben es hier trotzdem getan.« Große Probleme wie Grenzkriminalität, Illegalität und Migration seien verschwunden oder stark reduziert.

Das bestätigt auch Brandenburgs Innenministerium. Die Kriminalität, vor der sich viele nach dem Wegfall der Grenzkontrollen fürchteten, sei nicht gestiegen, heißt es. Die Zahl der Delikte in den 25 märkischen Gemeinden entlang der Grenze ist insgesamt sogar um 13,1 Prozent im Jahr 2008 gegenüber 2007 gesunken. Allerdings wurden mehr Autos gestohlen, in mehr Garagen, Gartenanlagen und Bungalows eingebrochen. Nach wie vor gehen in beiden Städten deutsche und polnische Polizisten gemeinsam auf Streife.

Wojciechowski gehört zu denjenigen, die die Stadtbrücke regelmäßig passieren. »Man kann fast nicht mehr erkennen, wer Pole und wer Deutscher ist«, hat er beobachtet. »Das ist ein Zeichen, dass wir uns wesentlich annähern.« Es gebe deutsch-polnische Hochzeiten, Kinder lernen die Sprache des Nachbarn. Noch gut erinnert er sich an Schlägereien. »Diese Zeiten sind vorbei.« Die Nachbarschaft sei relativ konfliktfrei und verzahnt.

»Wir arbeiten an einem gemeinsamen Stadtmarketing«, berichtet ein Frankfurter Stadtsprecher. Projekte und Initiativen sollen vereint werden. Während der 1. Frankfurt-Slubicer Zukunftskonferenz am 3. und 4. Juni wollen Bürger ihre Visionen für eine europäische Doppelstadt einbringen. Dabei geht es um die gemeinsame Zukunft bis 2020.

»Das ist eine gute Sache«, betont Aktionskünstler Michael Kurzwelly, der mit seinem Projekt »Slubfurt« beiderseits der Oder für Zusammenarbeit wirbt. »Slubfurt« – der Kunstbegriff setzt sich aus Silben der beiden Städtenamen zusammen – blickt auf die Zukunft eines gemeinsamen Stadtraums. Derzeit gründen die Mitglieder Parteien und bereiten Wahlen vor. Ein deutsch-polnisches Parlament soll Fragen in den Bereichen Bildung, Stadtentwicklung oder auch Kultur regeln. Mit ihrer virtuellen Welt sind die Macher den Stadtvätern der Zwillingsstadt voraus.

Für Michel Garand, Migrationsbeauftragter der Stadt Frankfurt (Oder), ist die Grenze keine mehr. Akzeptanz und Toleranz gegenüber den Menschen von der anderen Seite seien größer geworden, sagt der aus Kanada stammende Mann und spricht von einer Chance. Sieht er Unterschiede im Leben der Menschen? »Abends sitzen in Frankfurt alle drinnen; in Slubice sind alle draußen und kommunizieren.«

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