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»Ich suche die Kommunikation«

Vor der EU-Wahl steht Martina Michels unter Termindruck – wie alle Kandidaten der LINKEN

Die Berlinerin Martina Michels gehört zu den 30 Kandidaten, die die LINKE zur Wahl für das Europäische Parlament aufgestellt hat. Mit Listenplatz 9 hat sie gute Chancen, in die EU-Volksvertretung einzuziehen.
Voller Terminkalender: Martina Michels ND-
Voller Terminkalender: Martina Michels ND-

Der Wetterbericht hatte Recht behalten. Pünktlich zum Beginn der Diskussion über Europa im Nachbarschaftstreff »Altes Waschhaus« in Weißensee entlud sich ein Gewitter über Berlin. Da saßen die Gäste im besten Alter aber bereits an der großen Kaffeetafel – und Martina Michels hatte ein Heimspiel. Die Berliner Linkspolitikerin erklärte das »System EU«, kommentierte die Europapolitik des Senats, diskutierte über die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise wie über die Notwendigkeit des Truppenabzugs aus Afghanistan und stellte natürlich die Forderungen ihrer Partei an eine erneuerte Europäische Union vor: Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit sollten das »Haus Europa« prägen.

»Zwei bis drei solche Veranstaltungen sind es jeden Tag«, erzählt die 54-Jährige, die für die Berliner LINKE als Kandidatin für das Europäische Parlament antritt. Ihre Partei hat sie auf Platz 9 der Bundesliste gesetzt – »bei mindestens 8,2 Prozent bin ich drin«, hat sie sich ausgerechnet. Für die LINKE, die bei den letzten Europawahlen 2004 noch als PDS auf 6,1 Prozent kam und sieben Abgeordnete nach Straßburg schickte, wäre dies jedoch eine Enttäuschung. Schließlich hat die Partei als Ziel »10 + X« ausgegeben.

Allerdings macht sich auch Martina Michels keine Illusionen, dass diese Vorgabe quasi im Selbstlauf zu erreichen ist. Nicht nur, weil es für die Wähler »ziemlich kompliziert ist, die europäische Politik zu durchschauen«, und die LINKE bislang auch wenig von der aktuellen Krise profitieren konnte. Sorgen bereitet der Partei das offensichtliche Desinteresse an der Abstimmung zur europäischen Volksvertretung. Gut eine Woche vor der Europawahl wollten laut ZDF-Politbarometer zwei Drittel der Wahlberechtigten nicht abstimmen oder waren noch unentschieden. »Dabei findet Europa heute praktisch überall statt«, erläutert Michels. Schon heute gehen etwa 80 Prozent der deutschen gesetzlichen Regelungen auf EU-Vorgaben zurück, und in ebensolcher Größe liegen auch die Mitentscheidungsrechte des Straßburger Parlaments bei europäischen »Gesetzen« und Vorschriften. »Wer Europa verändern will, muss sich da einmischen, wo es möglich ist«, warf sich die Vorsitzende des Europaausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses ins Zeug. »Und eine solche Möglichkeit sind die Europawahlen.«

Bei ihren Zuhörern brauchte Michels nicht für Wahlbeteiligung zu agitieren – diese zeigten sich ebenso informiert wie interessiert. Auch wenn bei dem einen oder anderen der Ärger über die derzeitige Bundespolitik herausbrach und die LINKE zu weniger Worten und mehr Taten aufgefordert wurde. Dabei musste Michels mit der Vorstellung aufräumen, dass selbst 30 deutsche Linksabgeordnete im Europäischen Parlament die EU-Politik grundlegend ändern könnten. »Die Linken werden aber versuchen, diese Politik transparenter zu machen, Schwachstellen und Profiteure zu benennen und die Diskussion über Alternativen anzuschieben.«

Dabei kann Martina Michels auf einige Erfahrungen zurückgreifen. Die studierte Philosophin hat es schon immer zur internationalen Politik gezogen. Zu DDR-Zeiten schaffte sie es zwar nicht ins Außenministerium, wohl aber in die »IV-Abteilung« des Gesundheitsministeriums, wo einer ihrer Arbeitsschwerpunkte die Kontakte zu osteuropäischen Staaten waren. Seit 1991 ist die bekennende Friedrichshainerin direkt gewähltes Mitglied im Abgeordnetenhaus, ab 1996 hatte sie für neun Jahre das Amt der Vizepräsidentin inne. 2001 schließlich wurde sie europapolitische Sprecherin der Linksfraktion und Chefin des Europaausschusses des Berliner Parlaments. Die Ablehnung des Lissaboner Vertrags durch Berlin, den Ausbau der Oderpartnerschaft oder die Auseinandersetzung mit unsozialen EU-Richtlinien verbucht Michels auf der Haben-Seite.

Ihre Feuertaufe auf Brüsseler Parkett hat die Mutter zweier Kinder (»Meine Familie unterstützt mich.«) als Mitglied des Ausschusses der Regionen (AdR) längst bestanden. Der Ausschuss prüft Beschlüsse und Vorhaben der EU-Kommission und erarbeitet Stellungnahmen zu den Auswirkungen aus regionaler Sicht. Aufgebaut ist der AdR wie ein Parlament mit verschiedenen Fraktionen und nationalen Delegationen, er arbeitet in Fachkommissionen. Das sachorientierte Arbeiten kommt der Politikerin, die sich keiner Strömung in der LINKEN zurechnen lassen will, entgegen: »Ich suche die Kommunikation und den Kompromiss.«

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