Ungewollt vorne

Weil Duisburg in Bayern gewinnt, ist Potsdam Spitzenreiter – und wäre doch lieber Zweiter

Was wohl würde Jürgen Klinsmann den Potsdamerinnen in dieser Situation empfehlen? Jetzt, wo die Fußballerinnen des 1. FFC Turbine vor dem letzten Spieltag unverhofft Tabellenführer in der Bundesliga geworden sind, weil der bisherige Spitzenreiter Bayern München in einem Nachholspiel am Mittwochabend 0:4 (0:1) gegen den FC Rumeln Duisburg verlor? Vermutlich würde Klinsmann die Wände des Karl-Liebknecht-Stadion mit den Bildern der neuen Frauen-Meisterschale pflastern, er würde in flammenden Mannschaftsansprachen von den »Leadern« den »bedingungslosen Fight« fordern und den ewigen Glauben an den Titel predigen.

Doch weil bei Turbine seit 1971 Bernd Schröder der Trainer ist, sind aus Potsdam ganz andere Töne zu vernehmen. »Alle, die jetzt mit dem Titel für Potsdam rechnen, sind fern aller Realität«, sagt Schröder, dessen Mannschaft am Sonntag um 14 Uhr zuhause gegen den VfL Wolfsburg aufläuft, während der FC Bayern zeitgleich beim bereits abgestiegenen TSV Crailsheim antritt. »Ich bin doch kein Fantast. Es wäre ja schon ein Wunder, wenn Bayern in Crailsheim nur 5:0 siegt. Crailsheims Mannschaft ist doch bereits in Auflösung, die haben seit 17. Mai kein Spiel gehabt. Wir hingegen spielen gegen Wolfsburg, eine gut besetzte Mannschaft, in der vier Ex-Potsdamerinnen besonders motiviert sind. Ich weiß außerdem nicht, wie unsere Spielerinnen das 0:7 im DFB-Pokalfinale wegstecken.«

Schröder sagt, ihm wäre es eigentlich lieber gewesen, die Bayern hätten am Mittwoch die Duisburgerinnen besiegt und damit die Meisterschaft vorentschieden. Turbines junge Elf (im Durchschnitt 20,4 Jahre alt) wäre in diesem Fall nämlich sicher auf Platz zwei gelandet und hätte garantiert die neue Champions League der Frauen erreicht. »Unser Ziel war immer Platz zwei«, sagt der 66-jährige Coach. Stattdessen ist DFB-Pokal- und UEFA-Cup-Gewinner FCR Duisburg nun als drittes Team noch im Titelrennen, und könnte den Potsdamerinnen im Falle einer Heimniederlage die Qualifikation für die Königsklasse noch verderben.

Der DFB ist für alle Eventualitäten vorbereitet: Er verschickt die neu geschaffene Meisterschale sowie zwei Duplikate an alle drei Titelkandidaten. »Das Original geht statutengemäß an den Spitzenreiter, also nach Potsdam«, sagt eine DFB-Sprecherin. Außerdem muss Potsdam gemäß den Auflagen eine Siegerehrung vorbereiten: »Meine Güte, wohl ist mir dabei nicht«, meint Trainer Schröder. Er würde sich allerdings in diesem Falle gerne überraschen lassen. »Aber dazu müsste der liebe Gott schon sein Füllhorn rausholen.«

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