Werbung

Nordkaukasus bleibt unruhig

Medwedjew: Lage »extrem kompliziert«

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch nachdem der Ausnahmezustand in Tschetschenien offiziell aufgehoben worden ist, bleibt die zu Russland gehörende Region am Nordrand des Kaukasus unruhig. Meldungen über Anschläge und Morde dringen regelmäßig nach Moskau – auch wenn sie dort kaum noch jemand registriert.

Asa Gasgirijewa starb an den Schüssen, die gestern früh in Nasran auf sie abgefeuert wurden, noch bevor der Rettungswagen das Krankenhaus erreichte. Sechs Passanten wurden schwer verletzt, darunter ein Kind, das noch nicht einmal ein Jahr alt war. Die Mordkommission vermutet einen Racheakt. Gasgirijewa, Vizepräsidentin des Obersten Gerichts in der nordkaukasischen Republik Inguschetien, war an Ermittlungen zum Anschlag von Untergrundkämpfern auf das Innenministerium und andere staatliche Einrichtungen in der Hauptstadt Magas im Juni 2004 beteiligt. Dabei starben insgesamt 98 Menschen, weitere 104 wurden verletzt.

Einen Racheakt von Untergrundkämpfern vermuten Ermittler auch in Dagestan. Dort war am vergangenen Freitag Innenminister Adilgerei Magomettagirow erschossen worden. Auf ihn waren bereits mehrere Anschläge verübt worden. Er hatte versucht, die Korruption zu bekämpfen, und war entschlossen gegen islamische Radikalisten vorgegangen. Sein Amtsvorgänger und der Vorgänger des dagestanischen Muftis starben den gleichen Tod. Ebenso 2005 der Minister für Nationalitätenpolitik und der Oberbürgermeister der Hauptstadt Machatschkala.

Sprengstoffanschläge, Morde an Polizisten oder Staatsanwälten sind in Dagestan so häufig, dass überregionale russische Medien sie nur noch mit Fünf-Zeilen-Meldungen würdigen. Sogar in der Republik Nordossetien, die lange Zeit ein Hort relativer Ruhe war und nie durch separatistische Tendenzen auffiel, gab es in den vergangenen Monaten eine Reihe politisch motivierter Morde.

Allein 2008 registrierte die Nachrichtenagentur RIA Nowosti im Nordkaukasus 308 terroristische Verbrechen, bei denen insgesamt 235 Menschen starben. Russlands Präsident Dmitri Medwedjew nannte die Lage in der Region am Dienstag nach einem Krisengipfel mit der dagestanischen Führung in Machatschkala »extrem kompliziert«.

Experten wie Wadim Dubnow sehen das ähnlich, machen dafür aber vor allem die Kaukasuspolitik von Medwedjews Amtsvorgängern Boris Jelzin und Wladimir Putin verantwortlich. Um Tschetschenien wieder unter das Dach der russischen Verfassung zu zwingen, hätte für beide der Kampf gegen die Nationalisten und damit gegen den weltlichen Flügel des Widerstands Vorrang gehabt. 2005, nach dem Anschlag auf den damaligen tschetschenischen Untergrundpräsidenten Aslan Maschadow, der dieser Gruppe ebenso angehörte wie der 1996 ermordete erste Präsident Dschochar Dudajew, hätten islamische Extremisten die Führung des Widerstands endgültig an sich gerissen, ihre Kämpfe auf die benachbarten republiken ausgedehnt und radikalisiert.

Im April 2006 zum neuen Untergrundpräsidenten Tschetscheniens gewählt, schaffte Doku Umarow, einer der berüchtigtsten Feldkommandeure, das Amt knapp ein Jahr später ab und ließ sich zum Emir küren. Zum militärischen und politischen Oberhaupt eines Gottesstaates, der vom Schwarzen bis zum Kaspischen Meer reicht. Vorerst freilich nur im Geiste. Fernziel der Islamisten ist die Erlangung der Souveränität. Und den Hebel setzen sie dort an, wo die Zentralregierung in Moskau am schwächsten ist: in Dagestan, wo um die 30 größere Volksgruppen und über 100 kleine und kleinste mehr schlecht als recht zusammenleben.

Für die jüngste Zuspitzung der Gewalt sind auch Gerüchte über eine erfolgreiche Sonderoperation der Geheimdienste gegen Doku Umarow verantwortlich. Diesen Gerüchten zufolge will Moskau den Tod des »Emirs« am Freitag – dem höchsten Staatsfeiertag Russlands – offiziell bekannt geben.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal