Mit dem Geldsauger durch Europas Osten

Wiener Forscher untersuchten Praxis westeuropäischer Investoren

  • Hannes Hofbauer, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit »sharp decline« (starker Verfall) titelt das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) seine neueste Studie über ausländische Direktinvestitionen in Osteuropa. Da solche Investitionen gerne als Voraussetzung der Wohlstandsentwicklung dargestellt werden, besteht diesbezüglich wenig Anlass für Optimismus.

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Wer die Ergebnisse der Wiener Wirtschaftsforscher näher betrachtet, kann unschwer feststellen, was Europas Wirtschaft in den vergangenen Jahren geprägt hat: Wie durch einen riesigen Geldsauger sind die Gewinne westeuropäischer Konzerne im Osten in die Mutterhäuser geflossen. Mit der WIIW-Studie liegen darüber erstmals exakte Zahlen vor.

Die durchschnittliche ausländische Direktinvestition in einen der zehn neuen EU-Mitgliedstaaten warf in den Jahren 2003 bis 2008 durchweg zweistellige Profitraten ab – und das mit steigender Tendenz. Im Jahre 2008 lag die durchschnittliche Rendite für ausländische Investoren in Ungarn bei 18,4 Prozent, in Tschechien bei 14,4 Prozent und in Polen, der Slowakei und Estland über 10 Prozent. Das sind Gewinnspannen, die in keinem der Staaten Westeuropas auch nur annähernd zu erwarten waren.

Der weitaus größte Teil dieser Gewinne landete schnurstracks auf den Konten der Zentralen von westeuropäischen Banken, Industriebetrieben und Dienstleistern. Im Durchschnitt waren es 70 Prozent der im Osten erwirtschafteten Profite, die sogleich außer Landes gebracht wurden. Ausnahmen in den baltischen Staaten erklärt der WIIW-Forscher Gabor Hunya mit der großen Bereitschaft schwedischer Banken, ihre Gewinne wieder im jeweiligen Land zu investieren.

Allein für das Jahr 2008 errechneten Fachleute des Wiener Instituts die sagenhafte Summe von 31,7 Milliarden Euro, die als Gewinne vor allem westeuropäischer Unternehmen außer Landes geschafft wurden. Wer dazu noch den jährlichen Schuldendienst der allesamt bei ausländischen Kreditinstituten in der Kreide stehenden Staaten addiert, kann die Ausmaße des Aussaugens osteuropäischer Volkswirtschaften erfassen.

Die Wirtschaftskrise hat zwar die Summe der Investitionen – im Schnitt um 9 Prozent – einbrechen lassen, eine gerechtere Verteilung ist deswegen allerdings noch lange nicht in Sicht. Makroökonomisch vorteilhaft zu bewerten ist unter diesen Umständen allenfalls der erwartete Rückgang des Leistungsbilanzdefizits. Wo weniger ausländische Investoren auftauchen und weniger zahlungsfähige Nachfrage nach importierten Gütern besteht, fällt das Minus in der volkswirtschaftlichen Bilanz eben geringer aus. Gabor Hunya vom WIIW warnt allerdings vor allzu großem Optimismus. Die Nichtauslastung industrieller Kapazitäten in Krisenzeiten werde zu einem verschärftem Standortwettbewerb führen, der – so Hunya – weitere Verlagerungen von Betrieben in Richtung Osteuropa mit sich bringen könnte.

Die Abwertung der Währungen in der Nicht-Euro-Zone um durchschnittlich 20 Prozent verstärkt die Tendenz von Unternehmen, billigere Arbeitskraft zu suchen. Die Verarmung großer Teile der Bevölkerung kann schon jetzt am Sinken der Binnennachfrage abgelesen werden. Die Spirale dreht sich schnell und abwärts. Auf die Frage, wie die Einschätzung von IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn zu bewerten sei, der IWF sähe die schwierigste Phase der Krise in Osteuropa bereits als überwunden an, widersprach Gabor Hunya. Die Zahlen des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche geben jedenfalls für Optimismus keinen Anlass.

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