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  • Karlsruhe weist Beschwerde privater Krankenversicherungen gegen Gesundheitsreform zurück

Ein Minimum Solidarität darf sein

Verfassungsrichter lassen Mini-Reform passieren, tasten PKV-Privilegien aber nicht an

  • Claus Dümde
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Minimum an Solidarität, das der Privaten Krankenversicherung (PKV) durch die Gesundheitsreform auferlegt wurde, ist rechtens. Das entschied das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch. Zugleich gab es aber de facto dem auf Verweigerung von Solidarität beruhenden Geschäftsmodell eine Existenzgarantie.

Seit Januar müssen private Krankenversicherungen einen »Basistarif« von maximal 570 Euro pro Monat ohne Gesundheitsprüfung und Selbstbehalt anbieten. PKV-Vertreter sehen darin einen »Anschlag auf ihre Existenz und reichten deshalb Verfassungsbeschwerden gegen diese und weitere Bestimmungen der jüngsten Gesundheitsreform ein (siehe linke Randspalte). Karlsruhe wies diese Darstellung am Mittwoch samt und sonders zurück. Dennoch frohlockte der Chef des PKV-Verbands, Reinhold Schulte, im Anschluss. Die Richter hätten das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung ausdrücklich bestätigt. Ihr Urteil sei eine »klare verfassungsrechtliche Absage an eine Bürgerversicherung«.

Da lässt sich Schulte von seinen Wunschträumen womöglich ein wenig zu weit hinreißen. Freilich ist im Urteil seltsamerweise von einer »Volksversicherung aus zwei Versicherungssäulen« die Rede. Die Karlsruher Richter sorgten sich um die PKV. Sie gaben dem Gesetzgeber explizit »eine Beobachtungspflicht im Hinblick auf die Folgen der Reform für die (privaten) Versicherungsunternehmen und die bei ihnen Versicherten« auf. Bislang haben rund 6000 von über 8,4 Millionen PKV-Versicherten vom Basistarif Gebrauch gemacht. Die Profite der Versicherer dürften also dadurch kein Gran geschmälert werden.

Der Basistarif greife zwar durchaus in die »Berufsfreiheit« der Versicherer ein. Dies sei »jedoch durch das Ziel gerechtfertigt, allen Bürgern einen bezahlbaren Krankenversicherungsschutz in der gesetzlichen oder der privaten Krankenversicherung zu gewährleisten«, sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier bei der Urteilsverkündung.

Die PKV hat vor allem ein Ziel nicht erreicht: Dass sie auch ihr letztes »schlechtes Risiko« an die Gesetzlichen abschieben und damit der Solidargemeinschaft der Unterprivilegierten aufbürden kann. Zum Jubel bietet das Urteil keinen Anlass. Es zeigt vielmehr, wie weit das deutsche Gesundheitssystem in Wirklichkeit von einer »Volksversicherung« entfernt ist. Wieso DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach daraus »Hoffnung für eine Bürgerversicherung unter Einbeziehung aller Versicherten« schöpft, müsste sie erklären. Auch Doris Pfeiffer, Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, sieht »noch weiteren Reformbedarf«. PKV-Versicherte müssten ihre Altersrückstellungen nicht nur zu anderen Privatversicherern mitnehmen dürfen, sondern auch beim Wechsel in die GKV.

Von einem fairen Wettbewerb zwischen den Krankenversicherungssystemen könne weiterhin keine Rede sein, stellte Simone Leiber vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, fest. Die GKV werde weiter »durch Risikoselektion zu Gunsten der privaten Krankenversicherung« belastet, die vor allem für gut verdienende Singles attraktiv ist. Für Ärzte bestünden nach wie vor starke Anreize, Privatversicherte zu bevorzugen. Zudem seien die Prämien auch im PKV-Basistarif immer noch relativ hoch.

Das stelle weiterhin eine erhebliche Barriere dar. Selbstständige mit geringem oder unsicherem Einkommen hätten das höchste Risiko, ganz ohne Krankenversicherungsschutz zu bleiben, so Leiber.


Aus dem Urteil

• Die Vorschriften über den Basistarif in der privaten Krankenversicherung verletzen die Beschwerdeführer nicht in Grundrechten.

• Die Verbindung von Versicherungspflicht und Kontrahierungszwang im Basistarif ist zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet, dem der privaten Krankenversicherung zugewiesenen Personenkreis einen ausreichenden und bezahlbaren Krankenversicherungsschutz zu gewährleisten. Die betroffenen Personen erhalten einen Anspruch auf den Abschluss eines Vertrags, der Versicherungsschutz im Umfang der Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung garantiert. Dieser Versicherungsschutz ist bezahlbar, weil die Prämienhöhe im Basistarif auf den Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt ist und sich im Fall des Eintritts von Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II oder des SGB XII reduziert.

• Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, sämtliche Personen, welche in der privaten Krankenversicherung keinen Versicherungsschutz finden oder ihn verloren haben, der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuweisen. Dies würde zu einer einseitigen Belastung der gesetzlichen Krankenversicherung führen. Sie müsste dann alle Personen aufnehmen, die wegen ihrer schlechten Risiken von den privaten Krankenversicherungen bisher abgewiesen wurden. In der Folge könnten die privaten Krankenversicherungen Risikoselektion mit dem Ziel betreiben, die Kostenlast solcher schlechten Risiken den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung aufzubürden. Eine derartig einseitige Risikoverteilung sieht die Verfassung nicht vor. Der Gesetzgeber kann, wenn er eine Volksversicherung aus zwei Versicherungssäulen schafft, die Personengruppen diesen beiden in einer ausgewogenen Lastenverteilung zuordnen und damit die finanzielle Stabilität und die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung sichern.
(Az. 1 BvR 706/08 u.a.)

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