Wo Eisen lebt und Fischadler brüten

Dank Ideen und Projekten veränderten Tagebaulandschaften ihr Gesicht

  • Rosi Blaschke
  • Lesedauer: 4 Min.
Einer der größten Bewohner von Ferropolis
Einer der größten Bewohner von Ferropolis

Es ist ein Kunst-Ort in vielfacher Hinsicht. Fünf metallene Ungetüme geben ihm den Namen – Ferropolis, Stadt aus Eisen. Auf einer Halbinsel im Gremminer See, auch einem »künstlichen«, zeugen riesige Bagger von der Geschichte der Region und von ihrer Zukunft. Seit 1958 veränderte die Erde hier zwischen Wittenberg und Bitterfeld in Sachsen-Anhalt ihr Gesicht. Im Tagebau Golpa-Nord wurde Braunkohle abgebaut. 1989/90 kam der Zusammenbruch, der »wirtschaftliche und entwicklungsmäßige«, wie Thies Schröder von der Geschäftsführung der Ferropolis GmbH sagt.

Damit das Land, die Landschaft nicht in ewigen Schlaf sinkt, so nahe so vielen Welterbestätten – mit der Lutherstadt Wittenberg, dem Wörlitzer Park, der Bauhausstadt Dessau –, brauchte es außergewöhnliche Ideen. Sie wurden im Bauhaus Dessau geboren im Rahmen der Werkstatt »Industrielles Gartenreich«: Ferropolis, Freilichtmuseum der Bergbaugeschichte und Veranstaltungsort. Studenten vom Bauhaus Dessau begannen, die Ideen umzusetzen.

Fünf Bergbaugiganten – Eimerketten-, Schaufelradbagger und Absetzer, allesamt noch in der DDR gebaut, mit liebevollen Spitznamen wie »Mad Max« oder »Big Wheel« versehen, aufwendig saniert, zum Teil begehbar – bestimmen Fabelwesen gleich die Ebene. 1995 wird die Stadt aus Eisen gegründet. 2000 wird die 25 000 Menschen fassende Arena mit einem Konzert mit Mikis Theodorakis eröffnet. Das Tagebaurestloch ist inzwischen zum Gremminer See geflutet.

Wer alles hat hier inzwischen Zehntausende begeistert, Rock- und Popgruppen zumeist: die Puhdys, die Ärzte, die Toten Hosen, Grönemeyer, Maffay, Lindenberg. Auch die Klassik bietet hier bei Festivals eine beeindruckende Akustik. Höhepunkt der internationalen Anerkennung war 2006 die Aufnahme in die Europäische Route des Industriellen Erbes (ERIH). Ferropolis, eine künstliche Stadt, eine Stadt der Kunst.

Der Förderverein Ferropolis hat seinen Sitz im einstigen Kraftwerk, dem energetischen Herzen des Tagebaus, das auch für Ausstellungen genutzt wird. In einer anderen Betriebshalle bietet das Kulturcafé Orangerie Gutes für Leib und Geist. Beim Aufbau Ferropolis' flossen gut zehn Millionen Euro aus der Bergbausanierungsförderung von EU, Bund und Land. Jetzt, so Thies Schröder, geht es ohne institutionelle Förderung.

Stadt aus Eisen, das klingt ein wenig starr. Doch die ganze Region, die Nachbarstadt Gräfenhainichen, die heimische Wirtschaft leben mit diesem Phänomen aus Geschichte und Zukunft. Sie profitieren ungemein vom Tourismus, ländlichen Wegebau, von Handel, Dienstleistungen, Übernachtungsangeboten. Thies Schröder hat den Aufbau eines Solarkraftwerkes, eine Tauchschule am Gremminer See im Blickfeld. Mit den Bauern wird das Land geteilt, mal Anbaufläche, mal Parkplätze. Die regionale Wirtschaftsförderungsgesellschaft will die einstige Grubenbahn wieder für den Güterverkehr in Gang setzen. Alles in allem: »Alte Energie, neue Energie« ist das Thema

Fast jeden Tag kommen Leute aus der Umgebung oder von weiter her und wollen sehen, was aus dem geworden ist, wo einst so viele Bergleute Arbeit fanden. Sie sehen, auch Eisen lebt.

Wir hatten noch gar nicht angemerkt, dass Ferropolis am Naturpark Dübener Heide liegt. Und wenn die Besucher es nach der vielen Technik ein bisschen grüner haben wollen, fahren sie wenige Kilometer weiter nach Schlaitz, ganz nahe dem Chemiestandort Bitterfeld/Wolfen. Zum Haus am See, dem seit 15 Jahren bestehenden Informationszentrum für Umwelt und Naturschutz. Das liegt auch an einem Tagebaurestloch, am schönen Muldestausee. Mitte der 1970er Jahre schon wurde er geflutet. Danach blieb die Natur sich selbst überlassen. Mit ansteckender Begeisterung gibt Sabine Kunze, Leiterin des Hauses, anhand von Schaukästen Auskunft über 80 einheimische Tierarten, darüber, wie sich auch hier das Gesicht der Erde durch Bergbau und Rekultivierung verändert hat.

Das ganz Besondere aber ist: An den neu entstandenen Bitterfelder Seen brüten seit 1995 Fischadler. Zwei auf einem ausgemusterten Hochspannungsmast am Muldestausee angebrachte Weiden-Metall-Körbe bieten den vom Menschen weltweit beinahe ausgerotteten Greifvögeln Nisthilfen. Bis 2006 wurden dort 27 Jungadler aufgezogen. Seit dieser Zeit kann man das Leben der Fischadler direkt verfolgen. Eine Kamera überträgt es auf einen Großbildschirm ins Haus am See, zu Freude und Nutzen der Naturfreunde und Wissenschaftler. So wird das Leben von »Romeo« und »Mathilde« der Öffentlichkeit preisgegeben – die freudigen Ereignisse wie die Katastrophen, wenn etwa der Marder ein Junges aus dem Nest stiehlt oder fressgierige Krähen Jagd auf die Eier machen.

Das Haus am See mit seinen vielfältigen Angeboten wie Kreativwerkstatt und Ferienprogrammen, Ausstellungen und Exkursionen entlang des 17 Kilometer langen Naturlehrpfads ist ein Ankerpunkt im 75 000 Hektar großen Naturpark Dübener Heide. Er trägt wie alle anderen über 100 in Deutschland zur nachhaltigen Regionalentwicklung bei. »Stroh zu Gold« machen, umreißt Parkleiter Thomas Klepel die Aufgabe, neben dem Tourismus auch Produktion und Vermarktung regionaler Köstlichkeiten vom Bier über Käse bis zum Wild, neben Schulprojekten auch der Dorfkonsum für die Einheimischen.

Man muss etwas tun, sagten sich die Leute aus Sachsen-Anhalt. Und darum lebt eine Stadt aus Eisen und brütet der Fischadler am Tagebausee.

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