Der Reformator und der Humanist

»Serveto vor Pilatus« von Rosemarie Schuder – ein Roman zum Calvin-Jahr

  • Martin Weskott
  • Lesedauer: 3 Min.

Manchmal wunderten sich Leser von Rosemaries Romanen, warum in ihnen so viele aktuelle Bezüge stecken, obwohl sie sich recht genau an die historischen Ereignisse hält. So schrieb ihr verstorbener Ehemann, der Schriftsteller Rudolf Hirsch, im Vorwort zu einem ihrer Bücher. Immer wieder tauchte Rosemarie Schuder (ND-Foto: B. Lange) schreibend in die Geschichte hinab, widmete sich bedeutenden Persönlichkeiten. 1982 erschien ihr Roman »Serveto vor Pilatus«. Nachauflagen folgten.

2009 gibt es ein Kirchenjubiläum: Vor 500 Jahren kam der Reformator Johannes Calvin zur Welt. Er, der in Paris nicht nur Theologie studierte, sondern auch die »sieben freien Künste« und Jura, sah sich bald wegen seines Glaubensbekenntnisses angegriffen. Er musste aus Paris flüchten, fand in Genf Asyl, von wo aus sich seine Lehre weit verbreitete. Die Last der Geschichte erfuhr er in der Auseinandersetzung mit Michael Servetus. Dieser spanische Arzt und Humanist, 1511 geboren, häufig auch Servet oder Serveto genannt, stand im Dienst von Roms Kurie, er spielte in reformatorischen Kreisen eine Rolle und war ab 1540 inkognito bischöflicher Leibarzt und Forscher in Vienne.

Aber für Aufregung sorgten zu seiner Zeit seine theosophischen Schriften, die ihn nicht nur mit der katholischen, sondern auch mit der protestantischen Theologie in Konflikt brachten. Weil er die heilige Dreifaltigkeit und die Göttlichkeit Christi leugnete, wurde er verfolgt. Der Inquisition konnte er sich durch Flucht entziehen, aus dem Gefängnis von Lyon entkam er nach Genf, wo er freilich wiederum festgenommen wurde und immerhin wählen konnte, ob man ihn nach Vienne ausliefern oder ihm vor Ort den Prozess machen sollte. Wenn er auf Calvin hoffte, so hatte er sich mächtig in ihm getäuscht.

Die Überlegungen des Flüchtlings Servet in Rosemarie Schuders Roman wirken provozierend und verstörend auch in diesen heutigen Zeiten, die ja noch gar nicht so souverän sind und in denen Toleranz klein geschrieben wird. Am Schicksal Servets, seiner Verurteilung (es werden Gutachten anderer Gemeinden der Reformation eingeholt) und an seiner Tötung (gegen jedes Menschenrecht) ist Calvin mitschuldig. Am 15. Oktober 1553 wurde Servet in Genf auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Schuder rekonstruierte Stück für stück den Lebensweg Servets, seine außerordentlichen Bemühungen, Herausforderungen und Erkenntnisse in seiner Zeit, das Schicksal des »Ketzers« bekam eine Stimme. In Anspielung auf die Haltung des Pilatus (Matthäus 17, 24), ruft die Autorin Hieronymus Boschs Bild »Christus vor Pilatus« auf und beschäftigt sich auch mit der Legende, Pilatus sei von Judäa nach Gallien versetzt worden.

Für den Leser stellt sich eine Verbindung zu ihren zwei vorhergehenden Arztromanen »Paracelsus und der Garten der Lüste« und »Agrippa und das Schiff der Zufriedenen« her. Man taucht ein in die Atmosphäre des 16. Jahrhunderts, erlebt Menschen verschiedener Schichten und denkt immer auch an die eigene Gegenwart.

Die Frage »Was ist Wahrheit?« bleibt als Herausforderung humaner Diskurse.

Martin Weskott, seit 1979 Pfarrer in Katlenburg, veröffentlichte über 50 Bücher. Bekannt wurde er vor allem durch seine Rettungsaktion von Büchern aus DDR-Verlagen und Bibliotheken, die auf Müllhalden gekippt wurden. Unter dem Motto »Weitergeben statt wegwerfen« werden diese Publikationen gegen Spende an Interessierte abgegeben und an Bildungseinrichtungen in aller Welt versandt. Der Erlös geht an »Brot für die Welt«.

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