Wo es dem Federvieh an die Daunen geht

Auf dem norwegischen Archipel Vega kann man für ein paar Wochen Entenpate werden

  • Jan-Manuel Müller
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Insel Lanan verwandelt sich im Frühling zur Kinderstube von Eiderenten.
Die Insel Lanan verwandelt sich im Frühling zur Kinderstube von Eiderenten.

»Hier oben herrscht die Natur, nicht der Mensch«, erzählt der Fischer Falk-Arvid Olsen. Wir sind mit seinem Motorboot durch den Archipel Vega, nur knapp unterhalb des Polarkreises unterwegs, zu dem rund 6000 kleine und kleinste Inseln gehören. Ein Himmel wie aus hellem Schiefer spannt sich über die Landschaft. Vor fünf Jahren wurde die Region in Nordnorwegen zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Es ist das ureigene Leben, das hier gewürdigt wurde. In der kargen Landschaft sind neben kleinen Holzhäusern auch kunstvolle Rundbauten aus bemaltem Wellblech zu sehen. In der Kulturlandschaft dieses Archipels spiegelt sich eine über 1500-jährige Geschichte der Fischerei und Landwirtschaft wider, die zeigt, wie harmonisch hier Mensch und Natur einander ergänzen.

In der Ferne präsentieren sich kleine Holzbauten, nicht größer als eine Kiste, wie bunte Stecknadelköpfe, während uns ein kühler Wind um die Ohren pfeift. Knapp 1500 Bewohner leben auf Vega. Viele verdienen ihr Geld mit Fischfang. Die meisten der Inseln und Schären des Nordmeerarchipels aber sind unbewohnt. Doch jedes Jahr im Frühling erhalten die Menschen auf Vega schnatternden Besuch, und ihr anschließendes Ritual gehört zum Inselleben wie das wechselnde Wetter und die hellen Mittsommernächte.

In dieser Zeit teilen sich die Bewohner die Insel mit tausenden Eiderenten, die ansonsten das ganze Jahr über in Alaska, auf Island oder in Nordrussland leben. Zwei Monate lang kümmern sich die Menschen von Vega um sie, so wie es bereits ihre Vorfahren taten. Sie stellen für die gefiederten Tiere Prachtbauten auf, um sie anzulocken. Nicht ganz uneigennützig, denn die Eiderenten gelten wegen ihrer Federn als die wertvollsten Enten der Welt.

Unter allen Füllmaterialien für Bettdecken und Kissen sind ihre Daunen die edelsten, die weichsten, die wärmsten und die leichtesten – aber auch die teuersten. Ganze 40 000 Kronen, gut viereinhalbtausend Euro, bezahlt man für eine Bettdecke. Doch keine Bange: Obwohl es dem Federvieh an die Daunen geht, kommt keiner der Vögel zu Schaden, sie merken den »Diebstahl« es nicht einmal.

Wenn die Vögel Eier legen, zupfen sie sich die Brustfedern aus, um ihr Nest damit auszukleiden. Sobald die Jungen geschlüpft sind, klauen die Inselbewohner ihnen die Daunen aus dem Nest. Die Tiere brauchen sie dann nicht mehr.

Es ist eine sehr zeitaufwendige Angelegenheit, die früher ausschließlich Aufgaben der Frauen war, während ihre Männer mehrere Monate als Fischer auf dem Nordmeer unterwegs waren. Seitdem sind mehr als 150 Jahre vergangen. Heute sammeln im Frühjahr Frauen wie Männer die Daunen. Für eine normale Bettdecke benötigen sie Daunen aus siebzig Nestern. Wer einmal unter solch einer Bettdecke gelegen hat, möchte sie nie wieder eintauschen.

»Sie wiegt nur etwas mehr als tausend Gramm und ist warm und weich«, erzählt Olsen, der seit mehr als zwei Jahrzehnten Eiderdaunen sammelt. »Das liegt daran, dass diese keine Stiele haben, sondern kleine Widerhaken, die sie zusammenhalten.«

»Das wichtigste zum Brüten ist die richtige Unterlage. Gras würde die feinen Daunen zerstören« sagt Olsen. »Deshalb sammeln wir auf Vega Tang«. Das ist eine ideale Nestverkleidung für die anspruchsvollen Enten. Außerdem halten die Menschen Wache bei den wertvollen Eiderenten, um Polarfüchse, Otter oder Raben von den Bruthäuschen fernzuhalten. Die Tiere sind gerade beim Brüten eine leichte Beute, da sie ihre Nester nicht verlassen und an Kraft und Gewicht verlieren.

In den vergangenen Jahren haben die Insulaner zunehmend ein Problem. Es gibt nicht mehr genug Inselbewohner, die sich in der Brutzeit zwischen Mai und Juni der Enten widmen können.

Für zwei Monate kann, wer Lust hat, als Entenpate nach Vega kommen, und dabei nicht nur die brütenden Enten bewachen, sondern auch die Natur und Einsamkeit von Nordnorwegen genießen. Und zum Lohn schließlich die Daunen aus den Nestern klauben. »Man muss übrigens kein Norwegisch können, die Enten schnattern vielsprachig«, sagt Entenpate Olsen Und fügt hinzu: »Selbstverständlich gehört zur Unterkunft auch eine echte Eiderdaunendecke.«

  • Infos: Norwegisches Fremdenverkehrsamt Visitnorway, ABC-Straße 19, 20354 Hamburg, Tel.: (0180) 500 15 48 (0,14 Euro/Min.), Fax: (040) 22 94 15 88, E-Mail: germany@innovationnorway.no, www.visitnorway.de
  • Eine Patenschaft für Eiderenten kann man jedes Jahr im Mai und Juni übernehmen, zwei Monate lang lebt man im eigenen Zimmer bei einer Gastfamilie auf der Insel Lånan, die zu Vega gehört.
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