Löschen statt Verstecken

  • Constanze Kurz
  • Lesedauer: 5 Min.
Löschen statt Verstecken

Am gestrigen Donnerstag sind die Netzsperren nun doch beschlossen worden: Gegen den Widerstand von entrüsteten Bürgern, Organisationen, Vereinen und einigen Parteien. Über 130 000 Menschen trugen sich in die Petition an den Deutschen Bundestag gegen die Internetsperren ein. Keine andere Petition hat jemals derart viele Unterstützer gefunden.

Doch der Gesetzgeber blieb auch im Wahljahr unbeeindruckt: Gebetsmühlenartig wiederholte Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) nur das angestrebte Ziel des Gesetzes: der Kampf gegen die Kinderpornographie im Internet. Doch kann dieses Ziel damit erreicht werden? Ist das Gesetz gar kontraproduktiv? Warum protestieren so viele Menschen gegen das Gesetz? Und warum ignorieren die Volksvertreter den breiten Protest?

Der unterschwellige Vorwurf aus dem Familienministerium, die Unterstützer der Petition würden dem Tausch von Bildern und Filmen mit gequälten Kindern nicht auch entschlossen entgegentreten wollen, wurde immer leiser, je lauter die sachlichen Argumente gegen das Gesetz wurden. Denn natürlich wollen auch die Unterzeichnenden endlich die widerwärtigen Bilder aus dem Netz verbannt sehen. Doch sie kennen den wirksamen Weg zur Bekämpfung der Verbreitung von Darstellungen des Kindesmißbrauches im Internet: Löschen statt Verstecken.

Von der Leyen erklärte, man wolle nun nicht länger tolerieren, was für schlimme Angebote im Netz erhältlich seien. Über den Ursprung der Bilder und Filme wurde dabei kaum gesprochen. Der aufgeweckte Wähler fragt sich außerdem: Waren denn vor Beginn des Wahlkampfgetöses alle Augen zugedrückt, wurden strafbare Inhalte gar nicht verfolgt, bevor die »Zensursula« getaufte Retterin sich des Themas annahm? Wurde der angeblich vorhandene »Millionenmarkt« toleriert?

Seit vielen Jahren ist der Besitz und der Verkauf oder Tausch solcher Darstellungen weltweit geächtet und strafbar. Fragt man aber die Strafverfolger, ob diese Straftaten denn nicht verfolgt würden, erfährt man schnell, wo die Probleme liegen: Die personelle und computertechnische Ausstattung in den Kriminalämtern ist unterdurchschnittlich, die Reaktionszeiten im internationalen Kampf gegen Tauschringe lang. Doch langfristig und strukturell die Polizeiarbeit zu verbessern, tragfähige Konzepte zum Kinderschutz zu entwerfen und damit das Übel an der Wurzel zu packen, ist nicht die Sache unserer wahlkämpfenden Familienministerin und ihrer Beraterin Martina Krogmann. Leichter ist es doch, dem dummen Wahlvolk sofort umsetzbare, fast kostenfreie Internetsperren aufzutischen.

Es ging in der nur kurzen gesellschaftlichen Debatte vor dem Gesetzesbeschluss nie um das Ob von Sperrmaßnahmen, nur noch das Wie dürfte diskutiert werden. Sachlichen Kontroversen mochte das Familienministerium lieber aus dem Weg gehen, offenbarte es doch in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP im Bundestag eine mangelnde Sachkompetenz, die ihresgleichen sucht. Denn dass die Sperren von Nutzen sind im Kampf gegen widerwärtige Bilder und Filme, die gequälte Kinder zeigen, ist eine bloße Chimäre. Das Gesetz bleibt ein unausgegorener Schnellschuss, ein verfassungsrechtlich gefährlicher dazu.

Haben Sie eigentlich schon einmal zufällig beim Surfen im Netz Bilder gefunden, die Kindesmissbrauch zeigen? Nein? Das ist keine Überraschung, denn solche Angebote sind strafbar. Daher erfolgen sie nur in klandestinen Tauschzirkeln Gleichgesinnter weit weg von der bunten Oberfläche des Internets. Dass sich solche Menschen von in wenigen Sekunden umgehbaren Stop-Schildern am Tausch hindern lassen, ist keineswegs zu erwarten.

Doch gehen wir einen Schritt zurück in die alltägliche Welt ohne Bits und Bytes. Stellen Sie sich vor: Sie entdecken beim Einkaufsbummel in der Innenstadt einen Kiosk, der im Schaufenster – ganz hinten in der Ecke – Filme anbietet, die Kindesmissbrauch dokumentieren. Das war Ihnen vorher nie aufgefallen, nur durch Zufall standen Sie am Kiosk herum. Mit Grauen drehen Sie sich weg, dann aber geraten Sie in Wut und beschließen, sofort die Polizei zu rufen. Was würden Sie nun erwarten, dass die Polizisten unternehmen? Als erstes sollten doch die angebotenen Filme beschlagnahmt und aus dem Kiosk entfernt werden, oder? Damit wäre auch verhindert, dass das Material kopiert und weitergegeben werden kann. Im Internet aber scheint solche einfache Logik außer Kraft gesetzt zu sein.

Wie würden Sie reagieren, wenn die Polizei nach Ihrem Anruf käme und nur ein großes Stop-Schild mitbrächte, um es vor den Kiosk zu stellen? Die Polizisten gehen wieder, die Filme aber bleiben liegen, der Verkauf geht normal weiter. Nur das große Schild weist nun jeden Passanten darauf hin, was dort im Kiosk verkauft wird. Ein Skandal? Nicht im Internet, denn genau so ist es nun per Gesetz beschlossen: Wenn das Bundeskriminalamt nach eigenem Ermessen beschließt, so ein Stop-Schild aufzustellen, bleiben die Filme geschundener Kinder im Internet an Ort und Stelle, sie sind weiterhin jederzeit zum Herunterladen bereit. Offenbar hat niemand mal unserer Familienministerin und Frau Krogmann das Internet erklärt.

Die Missbrauchsanfälligkeit und rechtstaatliche Fragwürdigkeit einer gesetzlichen Regelung, die dem Bundeskriminalamt erlaubt, eine geheime Internetsperrliste zu führen, ist auch für Nicht-Juristen derart offensichtlich, dass von der Leyen immer wieder beteuern musste, es werde nur gegen Angebote vorgegangen, die Kindesmissbrauch dokumentieren. Als würde dieses hehre Anliegen jede Art von Eingriff rechtfertigen. Ihre Kollegen im Bundestag schickten sich unterdessen bereits an, eine Liste von weiteren zu sperrenden Inhalten zu erstellen: Computerspiele, rechtsextreme Webseiten, urheberrechtlich fragwürdige Angebote, Glücksspiele im Netz. Bitte verlängern Sie die Liste durch eigene Wünsche.

»Politikverdrossenheit« ist für die digitale Generation das falsche Wort, die Zahlen der Petition zeigen das klar. Es geht vielmehr um die gutbegründete Ablehnung eines Politiksystems, das prinzipbedingt keine sachlich richtigen Lösungen mehr produzieren kann und kompetente Persönlichkeiten nicht mehr hervorbringt.

Constanze Kurz, Jahrgang 1974, ist Informatikerin und Sprecherin des Chaos Computer Club (CCC). Seit 2005 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berliner Humboldt Universität. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Überwachungstechnologien, Biometrie und Wahlcomputer. Zusammen mit Sandro Gaycken gab Kurz das Buch »1984.exe. Gesellschaftliche, politische und juristische Aspekte moderner Überwachungstechnologien« beiTranscript heraus.

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