Akademischer Kapitalismus

Der Umbau der Hochschulen ist in Deutschland beendet, aber die Kritik daran wird stärker

  • Rene Lenz und Matthias Gärtner
  • Lesedauer: 5 Min.
Die deutschen Hochschulen erleben im Rahmen des Bologna-Prozesses einen tiefgreifenden Umbau. Das Ergebnis ist vielerorts in Kritik, wie sich derzeit an den Protesten von Studierenden im Rahmen des bundesweiten Bildungsstreiks zeigt.
Hochschulräume in Deutschland Foto. dpa
Hochschulräume in Deutschland Foto. dpa

In diesem Jahr feiert die Universität Leipzig ihr sechshundertjähriges Bestehen. Doch die richtige Feierstimmung fehlt, und das liegt hauptsächlich am Unmut über die vor einigen Jahren eingeführten neuen Studienabschlüsse Bachelor und Master. Mit Beginn des neuen Semesters hielten Studenten, die gegen die Bedingungen ihrer Bachelor-Studiengänge protestieren, Universitätsgebäude in Leipzig besetzt.

Die Kritik kommt aber auch von etablierten Professoren. Zum Beispiel von Richard Münch. Der ist nicht nur einer der wichtigsten deutschen Soziologen, sondern dürfte mit seiner Studie »Globale Eliten, lokale Autoritäten. Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey & Co.« nun auch der prominenteste akademische Kritiker der deutschen Hochschulpolitik sein. Sein Buch bietet einen 200 Seiten starken Verriss der neueren Entwicklung des deutschen Hochschulsystems. Richard Münch analysiert darin die Umwandlung der deutschen Hochschulen zu Unternehmen auf dem internationalen Bildungsmarkt und erklärt die strukturellen Wettbewerbsnachteile des deutschen Hochschulsystems.

Machtkonglomerat der akademischen Eliten

Das Bild, das er zeichnet, ist wenig schmeichelhaft. Die Universitäten in Deutschland sind lange kognitiv geschlossene Anstalten gewesen. Außerdem waren sie oligarchisch organisiert, Frauen wurden systematisch von Professorenstellen ausgegrenzt und in den letzten Jahren wurde außerdem ein akademisches Proletariat mit wenig Aussicht auf eine Anstellung im wissenschaftlichen Betrieb produziert. Beim Ausbau des Hochschulsektors hielt das Verhältnis der Lehrenden mit den Studentenzahlen nicht mit. Gleiches gilt für die finanzielle Ausstattung einzelner Fakultäten.

Dem Machtkonglomerat aus akademischer Elite, also Professoren und Rektoren, der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie dem Wissenschaftsrat ist es in Zusammenarbeit mit den politischen Entscheidungsträgern gelungen, dieses System trotz der vermeintlichen großen Bologna-Reform zu erhalten, ja sogar auszubauen. Der Bologna-Prozess zielt auf die Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes. Die in Form von Erklärungen gefassten Beschlüsse der Bildungsminister sind jedoch ohne international rechtlich verbindlichen Charakter. Sie werden jedoch in den nationalen Bildungssystemen der teilnehmenden Staaten umgesetzt.

Als neuer Steuerungsansatz werden Instrumente des New Public Management an den Hochschulen eingeführt. Effizienz und Kundenorientierung sind nun auch Kernbegriffe für die Leitung von Fakultäten und Hochschulen. Die neuen Modelle setzen sich nicht unbedingt durch, weil sie besser sind. Nein, sie werden politisch vor allem von der OECD oder von Beratungsfirmen wie McKinsey ermöglicht, die weltweit einen bildungspolitischen Konsens erzeugen, der die ökonomische Ausrichtung von Hochschulen und die Einrichtung von Eliteuniversitäten als unabdingbar betrachtet. Dabei zählten deutsche Universitäten lange auch ohne Eliteuniversitäten zu den besten der Welt. Heute kann man Bildungsmarketing und -management auch in Deutschland studieren, doch Eliteuniversitäten gibt es nicht.

Ende der Wissensevolution

Veränderungen sind aber nicht nur im Hochschulsystem notwendig, nein schon vorher erfolgt bekanntermaßen der Ausschluss durch das, wie Münch es formuliert, ständisch gegliederte Schulsystem. Durch die Transformation von Sozialisationsstrukturen erscheint die ökonomische Ausrichtung als mittlerweile unausweichlich. Die Transformation des gesellschaftlichen Konsenses erfolgt durch die Ökonomisierung im Innern der Gesellschaften. Hochschulpersonal und Studenten haben sich wahrscheinlich auch schon längst an die neuen Zustände gewöhnt, so wie mancherorts Fakultäten jetzt Departments und Arbeitsaufwand jetzt workload heißen. Die Reformen haben eine Unzahl von Sachberichten und Anträgen, Marketing, immer wiederkehrende Evaluationen sowie Netzwerktreffen zur Folge. Damit verlangt Bildung fast automatisch nach Management. Doch die Einführung von New Public Management macht aus dem deutschen Hochschulsystem mitnichten eine blühende Landschaft.

Schon in seinem früheren Buch »Die akademische Elite« kritisierte Münch die Herstellung von Leuchtturm-Universitäten durch die Exzellenzinitiative, während gleichzeitig an der Grundausstattung der Mehrzahl der Universitäten gespart wird. Wissenschaft kann nicht von Konzentration leben, während die immer noch guten anderen Universitäten vernachlässigt werden. Sie werden im Kern getroffen, während die Leuchttürme nicht die Leuchtkraft der wenigen amerikanischen Spitzenuniversitäten erreichen können. Allein Harvard verfügte im Jahr 2007 über ein Vermögen von 29 Milliarden Dollar. Das im Rahmen der Exzellenzinitiative verteilte Geld wirkt dagegen wie die berüchtigten Peanuts – bis 2019 sind für alle deutschen Hochschulen zusammen lediglich 18 Milliarden Euro eingeplant.

Münch vergleicht nicht nur hier das neue System mit dem kommerziellen Fußball. Vereine wie Manchester United oder Real Madrid können sich ihre Spitzenmannschaften einfach zusammenkaufen. Die Monopolisierung von Ressourcen führt jedoch zum Ende der Wissensevolution, so Münch. Die neue deutsche Universität ist ein dysfunktionaler Hybrid, so Münch, dem eine nachvollziehbare Legitimität fehlt. Das Hochschulsystem bleibt damit ein umkämpftes Gebiet. Ein Beispiel hierfür liefern auch die Leipziger Professoren Georg Vobruba und Wolfgang Fach kürzlich auf den bildungspolitischen Seiten der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Während Vobruba die Korrektur von Fehlentwicklungen im deutschen Hochschulsystem einfordert, brandmarkt Fach seinen Kollegen knapp als »Reaktionär«, ohne auch nur irgendwie auf seine Argumente einzugehen. Fach ist selbst als Prorektor für Lehre und Studium für die Umsetzung des Bologna-Prozesses an der Universität Leipzig verantwortlich.

Münch, Richard: Globale Eliten, lokale Autoritäten. Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey & Co. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2009, 200 Seiten, 13 Euro.


Bologna-Prozess

Am 19. Juni 1999 einigten sich 29 europäische Bildungsminister in der italienischen Stadt Bologna auf die Schaffung eines einheitlichen Hochschulraums. Kernstück ist ein zweistufiges System von Studienabschlüssen aus Bachelor und Master. Die Ziele des Bologna-Prozesses werden alle zwei Jahre auf Fachkonferenzen konkretisiert. ND
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