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Umstrittene Selbstkasteiung

Sachsen-Anhalt: Widerstand gegen Aufnahme der Schuldenbremse in die Landesverfassung

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Landtag von Sachsen-Anhalt gibt es derzeit keine Mehrheit für die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Verfassung. Obwohl ihr Finanzminister dafür ist, liebäugelt die Koalitionsfraktion SPD mit einer Klage.

Wolfgang Böhmer meint: Sollen sich doch die anderen kümmern. Ein Gerichtsurteil zur umstrittenen Frage, ob der Bund den Ländern eine Schuldenbremse vorschreiben darf, »würde die Lage beruhigen«, sagt der Magdeburger Regierungschef. Er selbst jedoch will nicht zur Klärung beitragen: »Ich sehe keinen Grund, warum Sachsen-Anhalt klagen sollte«, sagte der CDU-Politiker gestern in einer Regierungserklärung zur Haushaltslage des Landes. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er die Vorgabe des Bundes, wonach auch die Länder künftig ohne Kredite wirtschaften sollen, für sinnvoll hält: Es müsse »die Verschuldungsspirale unterbrochen« und langfristig ein Abbau der Schulden von derzeit 20 Milliarden Euro erreicht werden.

Als ob die Länder aus freien Stücken über die Stränge schlügen, erwidert Wulf Gallert. Der jetzt im Grundgesetz fixierten finanziellen Selbstkasteiung liege indes eine »ausdrückliche Fehldiagnose« zugrunde, meint der Chef der Linksfraktion: Sie gehe von der Annahme aus, die Finanzpolitiker hätten nur zu verschwenderisch gelebt. Ursache für »strukturelle Defizite« in den Etats sei jedoch der weitgehende Verzicht auf Steuereinnahmen seit der rot-grünen Steuerreform 1999. Bund und Länder seien inzwischen »nicht mehr handlungsfähig«. Gallert hält es angesichts dessen für absurd, dass der Staat 600 Milliarden Euro zur Krisenbewältigung ausgibt und zugleich auf Schulden verzichtet. Das werde massive Steuererhöhungen zur Folge haben: »Die Frage ist nicht mehr, ob, sondern welche das sind.«

Umstritten ist die Schuldenbremse auch in der SPD; sie sei »nicht sicher, ob das die Lösung aller Dinge ist«, sagt Katrin Budde, die Fraktionschefin. Sie räumt aber ein, dass es Uneinigkeit gibt – etwa mit Finanzminister Jens Bullerjahn. Der SPD-Ressortchef stimmte der Schuldenbremse im Bundesrat zu, weil er sie »inhaltlich für richtig« halte, sagte er gestern. Als Abgeordneter hätte er wie auch Böhmer aber anders entscheiden müssen, sagt Budde. Mit ihrer Vorgabe an die Länder verstießen Bundesrat und Bundestag »gegen Haushaltsautonomie und Verfassungshoheit der Landtage«, wettert sie und kritisiert die Regierung: »Ich spreche ihnen das Recht ab, das regeln zu können.« Budde plädierte für eine Klage gegen das Verfahren: »Das sollten wir klären lassen – bis zum Bundesverfassungsgericht.«

Damit ist offen, wie die notwendige Übernahme der Schuldenbremse in die Landesverfassung vonstatten gehen soll. Eigentlich hätten Koalition und FDP eine ausreichende Mehrheit, sagt CDU-Fraktionschef Jürgen Scharf. Der Streit in der SPD, stichelte er, lasse diese jedoch zur »finanzpolitischen Unsicherheitskomponente« werden.

Kein Thema war gestern im Magdeburger Landtag übrigens die Frage, wie das Land mit der Schuldenbremse überleben soll. Scharf wies lediglich darauf hin, dass Sachsen-Anhalt bis 2020 auf 2,5 Milliarden Euro an Zuweisungen verzichten muss – bei einem Etat von zehn Milliarden. Bullerjahn hatte kürzlich ein Strategiepapier vorgelegt, das dramatische Kürzungen in allen Bereichen vorsieht. Er habe der Öffentlichkeit »einen Scherbenhaufen vor die Füße gekehrt«, schimpft FDP-Fraktionschef Veit Wolpert. Trotz der schmerzhaften Kürzungen sei aber zum Ausgleich der Etats für 2010 und 2011 eine Milliarde Euro neuer Schulden nötig, merkt Gallert an: »Was käme auf das Land zu, wenn wir dieses Geld nicht hätten?!«

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