Rügen in Piratenhand

Premiere für Störtebeker-Festspiele in Ralswiek

  • Jochen Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

Da unkten am vergangenen Sonnabend die Wetterfrösche auf allen Sendern und Kanälen, dass es ab nachmittags regnen würde. Tatsächlich jedoch präsentierte sich Europas größte Freilichtbühne in Ralswiek auf Rügen, unmittelbar am Großen Jasmunder Bodden gelegen, unter strahlend blauen Himmel. Und die über 8 000 Premierengäste erlebten nun schon den 17. Jahrgang Theater aus einer Mischung aus Fiktion und Geschichte, gespickt mit Aktion, Spannung, Liebe, Hass, Romantik und Intrige. Außerdem Adler, rassige Pferde und Koggen. Das ganze Spektakel unter der Regie von Holger Mahlich und im Bühnenbild von Falk von Wangelin.

Festspiel-Intendant Peter Hick hat auch ein ausgeprägtes Gespür für den Zeitwert. Es geht im Stück unter dem Titel »Das Vermächtnis« um – Gold. Um Gier und Geld. Mit der Inszenierung ist das Ensemble sehr im Heute, obwohl die Handlung im tiefsten Mittelalter spielt. »Es ist schon erstaunlich wie dicht der historische Soff die Gegenwart tangiert«, sagte uns Karl-Heinz Hoppe aus Negast im Kreis Nordvorpommern, der wie viele Besucher immer wieder Szenenapplaus spendete.

Der legendäre und überaus kraftvolle Klaus Störtebeker – bereits zum 8. Mal dargestellt von Sascha Gluth – und sein Freund Goedeke Michels (Dietmar Lahaine) treffen den Mecklenburger Ritter Gero von Ebersbach (Jürgen Haase). Die beiden sollen ihn nach Calais schippern. Ebersbach hütet den sagenumwobenen und überaus wertvollen Schatz der Templer, der sich in der Burg in Calais befinden soll. 18 beladene Schiffe mit Gold und Edelsteinen soll er umfassen.

Dieser Reichtum weckt natürlich Begierde, zumal der Krieg zwischen Frankreich und England tobt und unermessliches Vermögen verschlingt. Zwei mächtige Männer, der Erzbischof von Canterbury und Ludwig von Orleans, sind dem Schatz auf der Spur, weil sie sich mit seinem Besitz eine Neuordnung der Machtverhältnisse versprechen. Allerdings nicht nur die beiden sind gierig nach Reichtum, sondern auch der Herzog von Gloucester. Der aber soll auf Befehl des Königs in Jenseits befördert werden.

Johanna (Sarah-Jane Janson), die Tochter des Herzogs, trifft Klaus Störtebeker, der wie immer Symbol für Gerechtigkeit und das Aufbegehren der Unterdrückten ist – es beginnt eine zarte und spannende Liebesgeschichte. Schließlich wird der Code der Templer zur Öffnung der Schatzkammer entziffert. Thomasius (Robert Glatzeder), ein vom Prister zum Piraten mutierter Mitstreiter Störtebekers, ist dabei sehr hilfreich.

Nachdem dann sogar Berge versinken und sich Mauern öffnen, ist die Schatzkammer jedoch leider leer. Hier gibt es zwar den Hinweis, dass er sich in Granada befindet. Dieser Spur will das Ensemble aber erst 2010 folgen. Gewünscht hätte man sich allerdings, dass die progressiven geistigen Strömungen jener Zeit, die auf religiöser Grundlage von der Gleichheit des Menschen bestimmt waren, etwas deutlicher gemacht worden wären. Störtebeker, der nicht nur Seeräuber war, praktizierte sie nämlich mit dem Likedeel, den gleichen Teilen.

Kraftvoll interpretierte Entertainer Wolfgang Lippert als Abellin die Balladen »Ave«, »Die Templer« und »Gold«. Das goldene Kalb und die goldene Gans, so sang er, hätten uns »ins Gehirn geschissen«. Die Musik für die Balladen schuf Rainer Oleak, der beim Schweriner Filmfest den Preis für die beste Tongestaltung und Musik erhielt.

Immer wieder faszinierend ist es, wenn die Greifvögel des Falkners Volker Walter nur haarscharf über die Köpfe der Besucher auf die Hand Störtebekers fliegen. In diesem Jahr demonstriert er jenes Federspiel, das die Jagd simuliert, sogar direkt auf der Bühne. Mit bis zu 160 Stundenkilometer stürmt sein Falke »Fritz« der Beute hinterher.

Und noch eins: Am gestrigen Montag gab es auf der Ralswieker Bühne ein nicht so häufiges Jubiläum. Die 1000. Vorstellung wurde gegeben. Mindestens 4,5 Millionen Zuschauer sahen die Stücke von »Wie einer Pirat wurde« (1993) bis zum diesjährigen Spektakel. Und bis zum 5. September werden immerhin noch 64 Vorstellungen über das weite Areal am Boddengewässer gehen.

Montag bis Samstag jeweils 20 Uhr, Naturbühne Ralswiek auf Rügen.

Auskunft und Karten unter Tel. (038 38) 311 00 oder im Internet unter www.störtebeker.de.

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