Iran: Wächterrat räumt Verstöße ein

Fälschungen bei der Präsidentenwahl sollen drei Millionen Stimmen betreffen

  • Jan Keetman, Istanbul
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach den tagelangen massiven Protesten in Iran hat der Wächterrat Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentenwahl eingestanden.

Das ungeheure Eingeständnis kam am Montagmorgen als Kritik an denen, die Recht hatten. Der Sprecher des Islamischen Wächterrates, Abbas Ali Kadchodai, sagte auf einem Kanal des staatlichen Fernsehens, Statistiken der unterlegenen Kandidaten, wonach in »80 bis 170« Städten mehr Stimmen gezählt wurden, als es Wahlberechtigte gebe, seien nicht korrekt.

»Dies ist nur in 50 Städten vorgekommen«, meinte Kadchodai, um dann fortzufahren, dass die Unregelmäßigkeit »drei Millionen« Stimmen betreffen könne. Nach Kadchodai haben diese Unregelmäßigkeiten indes den Wahlausgang »nicht erkennbar« geändert.

Eine wahrhaft salomonische Lösung: Der Vorwurf des Wahlbetruges ist berechtigt und Mahmud Ahmadinedschad hat trotzdem gewonnen. Wenn dieses Zugeständnis den Zweck gehabt haben sollte, die Spannungen in Iran zu verringern, so hat es diesen jedenfalls nicht erreicht.

Am späten Sonntagabend forderte der unterlegene Kandidat Mir Hussein Mussawi seine Anhänger auf, die Proteste fortzusetzen. »Es ist euer Recht, gegen Betrug und Lügen zu protestieren«, schrieb Mussawi auf seiner Website. Dem antworteten am Montag indirekt die Revolutionsgarden mit einer Erklärung im Internet, wonach weitere Proteste eine »revolutionäre Konfrontation« zu erwarten hätten. Außer ihnen seien auch die Basidsch-Miliz »und andere Sicherheitskräfte und Disziplinierungskräfte« hierzu bereit.

Die Drohung ist sehr ernst zu nehmen. Am Sonnabend waren bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten, Polizei und Basidsch nach offiziellen Angaben zehn Menschen in Teheran getötet worden. Anhänger hatten für Montagabend zu einer neuen Demonstration aufgerufen, bei der Kerzen zum Andenken an die getöteten Demonstranten mitgeführt werden sollten. Für großes Aufsehen sorgten Amateuraufnahmen von einer Studentin mit Namen Neda, die auf der Straße nach einem Schuss verblutet. Die Echtheit der Aufnahmen lässt sich jedoch einstweilen nicht überprüfen. Ebenso wie die Liste einer kleinen Studentenorganisation, auf der von 300 Toten in ganz Iran die Rede ist, wobei aber konkrete Angaben fehlen. Unter den 457 am Wochenende Festgenommenen befanden sich zur Überraschung vieler Beobachter auch die Tochter des ehemaligen Präsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, Faezeh Haschemi, und vier weitere Verwandte Rafsandschanis. Die 46-jährige ehemalige Abgeordnete und bekannte Frauenrechtlerin war vorher im staatlichen Fernsehen zu sehen, wie sie zu einer Menge von Demonstranten sprach. Sie und ihre Verwandten wurden nach wenigen Stunden wieder freigelassen.

Die Festnahme von Faezeh Haschemi kann auch als Warnung an ihren 75-jährigen Vater und alle anderen, die sich noch sicher glauben, verstanden werden. Rafsandschani ist als Kritiker Ahmadinedschads bekannt.

Indessen gibt es Anzeichen dafür, dass eine Verhaftung von Oppositionsführer Mussawi vorbereitet wird. Irans Nachrichtenagentur IRNA verbreitete die Ansicht eines Milizionärs, wonach Mussawi Gewalt provoziert habe und angeklagt werden solle. Die Agentur Fars zitierte einen Rechtsprofessor mit der Ansicht, dass Mussawi die Sicherheit des Landes gefährde.

Die iranische Regierung macht weiterhin das Ausland maßgeblich für die Proteste verantwortlich.

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