Hart im Raume stoßen sich die Sachen

Das Berliner Schloss – Ein Blick hinter die Kulissen

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist keine Schande, sich im Hochgebirge zu versteigen, und so müsste auch das derzeit bedeutendste kulturelle Bauvorhaben der Bundesrepublik, das Berliner Schloss, dessen Wiedererrichtung per Bundestagsbeschluss avisiert ist, durchaus noch einmal grundsätzlich zur Debatte stehen dürfen. Es geht schließlich ums Zentrum der Nation – als nichts Geringeres wird Berlins mittigste Mitte, der Schlossplatz als Ort historischer Brüche und mit besonderer bauästhetischer Bedeutung, klassifiziert. Vielleicht hilft ja der gefürchtete Klimawandel mal im positiven Sinne, doch noch anderen Ideen für die Schlossplatzbelebung Raum und Geltung zu verschaffen. Denn das ähnlich politisch-ideologisch umkämpfte Areal zwischen Spree und Alexanderplatz beispielsweise wird aus ebendem Grund möglicherweise vom Zubauen verschont. Oder können wir gar auf eine neue, läuterungsfähige Bundesregierung hoffen?

Lebensgefährlich ist der Fehltritt am Hochgebirgsgipfel. Nicht lebens-, aber doch geist-gefährlich ist es, wenn man mit dem Architektur-Stück Berliner Schloss und seinen barocken, zwiespältigen und an Militarismus und Untertanengeist erinnernden Hohenzollern-Kulissen (sich) erst mal (auf-)spielt, dabei naturgemäß ordentlich die nationale Brust schwillt.

Andere Länder sind »nicht so kompliziert«, wenn es um die Rekonstruktion ihrer Geschichte geht, seufzt es lautstark von der Front der Schlossbefürworter. Dabei ist das Komplizierte die Antwort auf die Frage, wer will was wozu. Den staatlichen Schlossbau-Entscheidern, die eine Form bestellten, aber keinen Inhalt, schlug ihnen schon das Gewissen ob der kuscheligen Nostalgie? Hatten sie das Image-schädigende eines derartigen Subjekts nationalstaatlicher Repräsentanz im Blick?

Gleichviel, rettende Idee: Hinter die Fassaden, die von außen gesehen Kriegergeist bedeuten, wissenschaftliche, kulturelle und künstlerische Bretter schieben, die die Welt bedeuten. Museumsleute aus der Platz-Nachbarschaft mit besucherunfreundlich zentrumsferner Dependance witterten ihre Chance für einen touristenmagnetischen Auftritt. Schließlich wurden die weltreisenden Gebrüder von Humboldt reif für die Spreeinsel und zu Paten für das Schlossinnere erkoren. Unter chronischer Raumnot Leidende erhielten den Zuschlag als Nutzer der Schlossmitte: Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), mit ihren Häusern stadthistorischer Kontrapunkt zum Schloss, Humboldt-Universität zu Berlin, mit ihrem Hauptgebäude blickachsennah zu ebendem Corpus Delicti, und Zentral- und Landesbibliothek Berlin mit ihren modernen Kommunikationsmöglichkeiten. Da kamen mit schwerem Sitzfleisch bewehrte Institutionen in Bewegung, dass es nur so flutscht.

Doch es war nicht Weisheit, die ihre Fittiche über diesen Ratschluss legte. Demnach ist es ja die Sammlung außereuropäischer Kunst und Kultur der SPK, die von Berlin-Dahlem an den Symbolort für deutsches Kolonialistentum ziehen soll. Das könnte jedoch, so fürchten manche, auf die Besucher aus aller Welt wirken wie der Anblick der Guillotine auf den Franzosen: Er zieht, so Ambrose Bierce, aus gutem Grund den Kopf ein.

Die designierten Schlossnutzer wollen, noch in der Frist, bevor bauliche Tatsachen geschaffen werden, den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen, dass, wie es in einem Aphorismus von André Brie heißt, die Wahrheit in der Mitte lügt. Also pfeifen sie jetzt im Walde: Trommeln aus Tokio, Tanz aus Haiti, Indien oder dem Orient, Theater aus Indonesien im Lustgarten vor den gedachten Schlosstoren sollen Lust machen aufs Humboldt-Forum. Eine Ausstellung im Alten Museum desgleichen.

So sehr das Ganze, mit leichter Hand inszeniert, die Werbetrommel rührt für ein Inneres, das Geschichte und Gegenwart, Ost und West, Nationales und Internationales verbinden und versöhnen soll, an frischen Überlegungen wie die eines Georg Christoph Lichtenberg führt gewiss kein Weg vorbei: »Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muss anders werden, wenn es gut werden soll.« Oder mit Schillers Wallenstein gesprochen: »... hart im Raume stoßen sich die Sachen; wo eines Platz einnimmt, muss das andere rücken.«

  • Ausstellung im Alten Museum, Museumsinsel Berlin: Anders zur Welt kommen. Das Humboldt-Forum im Schloss. Ein Werkstattblick. Bis 17. Januar 2010, Mo-Mi, Fr-So 10-18, Do 10- 22 Uhr.
    www.humboldt-forum.de
  • Veranstaltungsprogramm zur Ausstellung: MuseumsInselFestival, Lustgarten, bis 4. Oktober 2009.
  • Begleitband zur Ausstellung: Thomas Flierl, Hermann Parzinger: Humboldt-Forum Berlin. Das Projekt/The Project. Theater der Zeit, 288 S., zahlr. farbige Abb., brosch., 28 €.
  • Ausstellung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in der Bauakademie Berlin, Französische Straße/Schinkelplatz: Schloss – Palast – Humboldt-Forum. Mitte Spreeinsel Berlin – ein Ort historischer Brüche. Bis 2. August, 12-19 Uhr.
  • Begleitprogramm zur Ausstellung in der Bauakademie: 15.7., 19 Uhr: Wie weiter zwischen Spree und Alexanderplatz?; 20.7., 19 Uhr: Schloss und Kaiserdenkmal – Humboldt-Forum und Einheitsdenkmal?
  • Veranstaltung zum selektiven Rückbau des Humboldt-Forums: Der Anti-Humboldt, 11.7., 20 Uhr, Sophiensaele Berlin, Sophienstr. 18
  • Workshops zu Nationbranding, Postkolonialen Displays und Restitutionsfragen, 12.7, 11 Uhr, Humboldt-Universität, Hausvogteiplatz 4-5
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