»Westen respektiert uns nicht«

Ägypten verurteilt Deutschlands Reaktion auf Mord an Marwa Sherbini

  • Karin Leukefeld, Damaskus
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Mord an der Ägypterin Marwa Sherbini (31) in Dresden am 1. Juli hat in Ägypten und in den arabischen Medien zu scharfen Reaktionen gegen Deutschland geführt.

Berichte und Kommentare in arabischen Medien zeigen, wie entsetzt und zornig man in arabischen Ländern über den Mord an Marwa Sherbini ist, der offenbar in deutschen Medien kaum Schlagzeilen machte. Das sei ein Zeichen für Rassismus und anti-muslimische Vorurteile. Man frage sich, wie so etwas in einem Gerichtssaal überhaupt geschehen konnte, hieß es in ägyptischen Zeitungen.

Die schwangere Ägypterin und Mutter eines dreijährigen Sohnes war mitten in einem Prozess am Dresdner Landgericht von dem Angeklagten angegriffen und mit mindestens 18 Messerstichen getötet worden. Der Ehemann (32) der Frau wurde sowohl von dem Mörder als auch durch die Schusswaffe eines anwesenden Polizisten schwer verletzt. Die Tat geschah vor den Augen ihres Sohnes. Gegen den Täter, einen aus Russland stammenden Deutschen (28), wurde wegen Mordes Haftbefehl erlassen. Die Staatsanwaltschaft Dresden hatte ihn als »fanatischen Ausländerfeind« bezeichnet. Angeklagt hatte Sherbini ihren Nachbarn, da er sie mehrfach als »Terroristin« beschimpft hatte.

Am vergangenen Montag wurde das Opfer unter großer öffentlicher Teilnahme in Alexandria beerdigt. Sherbini wurde auf Plakaten und Transparenten sowie in Sprechchören als »Märtyrerin für den Hijab« – die religiöse Kopfbedeckung muslimischer Frauen – bezeichnet, als ihr Leichnam zu Grabe getragen wurde. »Es gibt keinen Gott außer Gott und die Deutschen sind die Feinde Gottes«, war ein Slogan, der während des Trauermarsches gerufen wurde. Vertreter der deutschen Botschaft in Kairo nahmen ebenfalls an der Beerdigung teil.

Seit US-Präsident George W. Bush nach den Anschlägen von 2001 mit den Kriegen in Afghanistan und Irak einen »Kreuzzug gegen islamistischen Terror« gestartet hatte, bekennen sich in der islamischen Welt immer mehr Frauen mit dem Tragen des Hijab zu ihrer Religion, um ein Zeichen gegen westliche Vorurteile und für ihre Identität als Muslima zu setzen. Gleichzeitig hat die westliche Haltung dem radikalen Islam viel Zulauf verschafft.

Der Bruder von Marwa Sherbini, Tarik Sherbini, sagte, man werde den Mord sühnen: »Im Westen respektiert man uns nicht, das ist rassistisch.« In Telefonaten habe sie immer wieder erzählt, wie sie von ihrem Nachbarn als »Terroristin« beschimpft worden sei, einmal habe er sogar versucht, ihr das Kopftuch zu entreißen. Die Mutter der Ermordeten, Laila Shams, beschrieb gegenüber der Zeitung »Al Wafd«, wie schwierig es für ihre Tochter gewesen sei, in Deutschland Arbeit zu finden: »Ein Arbeitgeber schlug ihr vor, das Kopftuch abzunehmen, dann würde sie auch eine Stelle finden.«

Zeitungskommentare bezeichneten den Angriff als Beispiel, wie sehr der Westen mit zweierlei Maß messe. Der Fall habe in Deutschland wenig Aufmerksamkeit bei Politikern und Medien gefunden, was völlig anders gewesen wäre, wenn ein Muslim eine westliche Person ermordet hätte. So habe man sich nach dem Mord am niederländischen Regisseur Theo van Gogh im Jahr 2004 in Holland und Europa von Grund auf erschüttert gezeigt. Wäre das Opfer eine Jüdin gewesen, hätte es einen Aufschrei gegeben, so der Chefredakteur der ägyptischen Tageszeitung »Al Shorouk«, Abdelazim Hamad.

Der oberste ägyptische Geistliche, Großimam Scheich Mohammed Sayyed Tantawi, verlangte eine strenge Bestrafung des Täters, bezeichnete den Mord allerdings als Einzelfall. Er hoffe, dass der Dialog zwischen dem Westen und dem Islam nicht erschwert werde. Die ägyptische Apothekervereinigung rief hingegen zu einem Boykott deutscher Medikamente auf. Marwa Sherbini war Apothekerin.

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