Plattenbau mit verwildertem Schulhof

Die Leiterin der Potsdamer Montessori-Schule beschreibt in ihrem Buch den langen Weg zum freien Lernen

  • Matthias Benirschke, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Anfang war 1993 eine etwas heruntergekommene staatliche Schule in einem Potsdamer Plattenbau. Jetzt steht auf der Habenseite eine öffentliche Montessori-Schule von der ersten bis zur zehnten Klasse, ausgezeichnet unter anderem mit dem Deutschen Schulpreis 2007 der Robert-Bosch-Stiftung. In ihrem Buch »In Zukunft lernen wir anders« gewährt die Schulleiterin Ulrike Kegler einen Einblick in den langen Weg vom Plattenbau der Karl-Liebknecht-Schule bis zum Modell- und Vorzeigeprojekt.

Auf rund 250 Seiten beschreibt Kegler die erstaunliche Umwandlung einer »normalen« Schule. Sie erzählt anschaulich von den Ausgangsbedingungen und den Zielen, den Siegen und Niederlagen und ihrer Vorstellung einer »schönen Schule«. Besonders an den Stellen, an denen sie die Umsetzung pädagogischer Ideale und Wunschvorstellungen beschreibt, wird das Buch lebendig und auch mitreißend.

Die Karl-Liebknecht-Gesamtschule bestand aus einem Gebäude mit viel zu kleinen Räumen, erinnert sich Kegler. Zum Ausgleich gab es einen »weitläufigen und wild bewachsenen Schulhof«. 1993 bot sie hier eine erste Klasse nach den Grundsätzen der Montessori-Pädagogik an. Vor dem ersten Schultag war sie sehr angespannt, denn: »Ich hatte ein wenig geblufft, wenn man mich in Potsdam fragte, ob ich schon Montessori-erfahren sei.«

Diese Pädagogik geht zurück auf die Italienerin Maria Montessori (1870-1952). Zu den Prinzipien gehört, das Kind als ganzen, vollwertigen Menschen zu sehen, ihm Raum für freie Entscheidungen zu geben. Kernstück der Pädagogik ist die Freiarbeit. Das Kind wählt seine Arbeit selbst. Die Lehrer verstehen sich als Helfer.

Mit der Wortschöpfung »SeieinTAGLiepUNDLASSiMACHENWASSiWOLEN« begann für Kegler ein langer Erfahrungsprozess, Eine der ersten Erkenntnisse: »Ich hatte geglaubt, dass alle Kinder kreativ sind und von sich aus an die Arbeit gehen, wenn man ihnen nur die Freiheit dazu gibt. Das ist nicht so.« Manche Kinder hätten nämlich schon vor dem ersten Schultag verlernt, ihre Interessen und Wünsche zu erkennen. Sie warteten auf Anweisungen, brauchten Lob und kannten Tadel. Kegler war unzufrieden und schimpfte, bis eine Schülerin ihr einen Zettel gab: »SeieinTAGLiepUNDLASSiMACHENWASSiWOLEN«.

Auch andere Lehrer der Schule fingen langsam Feuer, wurden neugierig und beteiligten sich an Fortbildungen zur Montessori-Pädagogik. Und wenn es Akzeptanzprobleme gab, Lehrer nicht so recht an den Erfolg glaubten, kamen Projekte zum Tragen, die die ganze Schule, Lehrer, Eltern und Schüler begeisterten und Kegler in ihrer Überzeugung bestärkten, dass Theorie und Praxis zusammengehören. Nach vielen Anfangsproblemen war der Erfolg nicht mehr aufzuhalten.

In den Kapiteln geht Kegler ihre Eckpunkte einer schönen Schule durch: Dazu gehören große Konzepte und kleinste Details, etwa Raum und Zeit, Einrichtung, Sitzordnung, Melden, Ordnung und Sauberkeit, Essen, Unterricht usw. Am Ende beschreibt sie zusammenfassend, wieso Schule und Schönheit zusammengehören. »Wir wissen, dass in unseren Schulen zu viel Langeweile und auch zu viel Hässlichkeit herrschen.« Die Schüler bräuchten Schönheit um sich herum, damit sie »den unleugbaren Hässlichkeiten dieser Welt gestärkt begegnen können«.

Und Kegler nimmt für sich in Anspruch, was sie den Schülern zugesteht, nämlich angstfrei zu lernen, auch mal Fehler machen zu dürfen. Ihr Lohn: Wenn die Kinder am Ende ihrer Zeit an der Potsdamer Montessori-Schule sagen: »Es war schön!«.

Ulrike Kegler: In Zukunft lernen wir anders, Beltz Verlag Weinheim/Basel 2009, 255 Seiten, 19,80 Euro.

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