Die Tänzer von Morgen

Ballettschulen: Matinee in Dresden, Soiree in Berlin

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Verschieden wie die Profile der zwei staatlichen Ballettschulen in den neuen Bundesländern fallen die Jahresabschlussgalas ihrer Studenten aus. Fühlt sich die Palucca Schule Dresden mit der Tradition ehrwürdiger 84 Jahre dem zeitgenössischen Tanz verpflichtet, ganz im Geist ihrer Gründerin Gret Palucca, so steht die »erst« 58-jährige Staatliche Ballettschule Berlin im Zeichen des akademischen Tanzes. Freilich gehört klassischer Tanz auch zu den Lehrfächern in Dresden, wie in Berlin moderner Tanz Bestandteil der Ausbildung ist. In der Gewichtung, nicht in der Qualität, unterscheidet sich die Ausbildung.

Das bewiesen die beiden Bilanzveranstaltungen, in denen Studenten fast aller Jahrgänge zeigen konnten, was ihnen im Rahmen des Lernstoffs über Monate hinweg einstudiert wurde.

Fünfteilig fiel die Matinee der Palucca-Schüler in der Dresdner Semperoper aus. Auch dem edlen Ambiente des Hauses huldigte als erster Beitrag »Flügel«. Steffen Fuchs aus der Meisterklasse Choreografie fordert darin die jüngeren Tänzer in klassischer Manier und als persiflierende Darsteller. Zu Musik aus »La Sylphide« dürfen die Schüler, Mädchen auf Spitze, Jungen im Schottenrock, auf Tragik mimen, bei der manches schiefgeht und den Mädchen ihre Partner nicht gefallen. Damit ist gute Laune im Auditorium wie auf der Bühne hergestellt.

Im folgenden Teil des Programms geht es zeitgenössisch zu. So lässt Anke Glasow in »Testbild Engerlinge« Mädchen bizarre Bewegungen nachtanzen, die sie auf abgewandt stehendem Monitor sehen. Noch, dies wohl die Botschaft, haben die Engerlinge nicht zu sich gefunden, sind manipulierbar. Die Wirkung der Farbe Blau auf Geist und Seele untersucht zu eigener Musik in »Bachelor in Blue« Francesco Nappa, hüllt seine Studenten der Bachelor-Stufe unisex in Röcke, schickt sie mit experimenteller Formensprache in Einsamkeit und Kampf, erzielt Spannung durch unterschiedliche Dynamiken.

Der tänzerischste Beitrag verdankt sich Nacho Duato, der fünf Paaren eine erprobte Choreografie mit wunderbarer Kongruenz zwischen der Bewegung und der Musik von Heitor Villa-Lobos anvertraute. »Na Floresta«, eine Hommage an den Regenwald, besticht durch ornamentale Plastizität, Tempo und fliegt nur so durch den Raum. Wie harmonisch die Studenten flinke Flughebungen mit kniffligen Umgriffen bewältigen, war Genuss auf ganzer Linie. Das explosive Finale steuerte William Forsythe bei. Sein »Hypothetical Stream II«, kreiert für die eigene Compagnie und inspiriert von einer Zeichnung Tiepolos, serviert in schier unbegrenzter Geschmeidigkeit ein Höchstmaß an schleudernden Formen in steter Veränderung und immenser Geschwindigkeit. Eine fabulöse Leistung der neun Absolventen eines speziellen Förderprogramms.

Warteten die Dresdner um Rektor Jason Beechey mit 57 Studenten auf, brachte die Schule aus Berlin in ihrer Soiree imposante 75 Teilnehmer auf die Bühne der Staatsoper. Mit ihnen praktiziert Gregor Seyffert als Künstlerischer Leiter ein anderes Konzept. Um sie früh mit Theaterbedingungen zu konfrontieren, engagiert er Gastchoreografen für Uraufführungen.

In diesem Jahr hat Torsten Händler Shakespeares »Sommernachtstraum« Schülern als abendfüllendes Handlungsballett passgerecht gemacht, ihnen und den Zuschauern zum Spaß. Seine klassisches Vokabular durch moderne Diktion frisch erweiternde Formensprache vermeidet jede Niedlichkeit, Manuela Geislers unterkühlt klare Szene mit viel farbigem Licht tut ein Übriges, damit sich Jugend von heute in der Story um Gefühlswirrnisse wiederfindet. Statt im Athener Wald scheint sie hier in bajuwarischen Gefilden angesiedelt, denn in großen Tableaux erhalten die Waldwesen Jodelunterricht von Puck, üben sich auch im Schuhplatteln.

Dass bei allem Ulk, auch in den Bildern der Handwerker, die Form erhalten bleibt, besonders die Hauptakteure hoch gefordert sind, akrobatisch wie darstellerisch, ist Händlers Verdienst und Gütesiegel für die Berliner Ausbildung von klein auf. Neben Felix Mendelssohn Bartholdys Schauspielmusik trägt eine Collage aus Geräusch und Gesang das Geschehen im Zauberreich aus flirrenden Luftballons. Die tänzerisch wie ästhetisch bravouröse Produktion ist ein Meilenstein in der Entwicklung der Schüler und Studenten.

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