Österreich: Gegen »Wiens Demjanjuk« liegt nichts vor

Kümmern sich demnächst deutsche Staatsanwälte um Josias Kumpf?

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Die US-Behörden haben in den vergangenen drei Jahrzehnten 107 ehemalige Nazi- und Kriegsverbrecher abgeschoben. Jüngst Iwan Demjanjuk. Der Nazi-Gehilfe ist angeklagt wegen Beihilfe zum Mord in 27 900 Fällen. Pech für ihn, dass er statt in Wien in München gelandet ist ...

Der Skandal begann am 3. April mit einem Telefonanruf beim Sozialamt in der Landeshauptmannschaft Vorarlberg. Jemand erkundigte sich nach Sozialhilfe für einen Mann namens Josias Kumpf. Der sei gerade aus den USA heimgekehrt. Die Beamten recherchierten und informierten eiligst den Sicherheitsdirektor Elmar Marent. Der jedoch stellte fest, dass es weder »strafrechtliche noch verwaltungsrechtliche Gründe« gibt, »um polizeilich tätig« zu werden. Die Taten des mutmaßlichen Massenmörders sind laut Marent nach österreichischem Recht verjährt. Kumpf war damals zudem noch minderjährig, erst 17 oder 18 Jahre alt. Der Serbe soll – wie Demjanjuk als sogenannter Travniki-Mann – in SS-Diensten gestanden haben. Beispielsweise im KZ Sachsenhausen. Vorzuwerfen sind ihm vermutlich Untaten in Polen und Frankreich und in Travniki selbst. Er soll an der Erschießung von 8000 Kindern, Frauen und Männern beteiligt gewesen sein. Gegenüber US-Vernehmern hat er bereits zugegeben, dass er »aufgepasst habe, dass diejenigen, die noch nicht ganz tot waren oder noch zuckten, nicht aus der Grube kletterten«.

Kumpf wohnte wochenlang in einem Einfamilienhaus in Lochau am Bodensee. Dann stellten Kumpfs Verwandte den 83-Jährigen am 24. April in einem Rollstuhl vor dem Landeskrankenhaus in Bregenz ab. Kumpf, pflegebedürftig, wurde behandelt und am 18. Mai nach Rankweil überstellt. In der Nacht zum 6. Juni brachte die Caritas Kumpf dann nach Wien und quartierte den mutmaßlichen Mörder in einer Nobelwohnung in Döbling ein – mit 1000 Euro Miete pro Monat plus 24-Stunden-Betreuung.

Der Vorarlberger Grünen-Klubobmann Johannes Rauch ist dennoch empört: Es handle sich, so sagte er gestern gegenüber ND, um einen mehrfachen Skandal. Erstens werfe die Tatsache, dass Kumpf sich völlig frei und unbeobachtet im Land bewegen kann, ein bezeichnendes Licht auf Österreichs Umgang mit Nazi-Verbrechern und die dazu beschlossene Verjährungsfrist. Dieser »schleißige, augenzwinkernde, zudeckende Umgang« mit Österreichs Nazivergangenheit sei, so Rauch, mitverantwortlich dafür, »dass die neue Rechte in unserer Republik so stark ist«. Zweitens sei es nicht hinnehmbar, dass weder die Bundes- noch die Landesregierung einen Grund sahen, die Öffentlichkeit über Kumpf zu informieren. Wer – drittens – diese exquisite Sonderbehandlung des mutmaßlichen Nazi-Verbrechers mit dem Alltag von Asylsuchenden vergleicht, gerate zusätzlich in Wut. Die stecke man in ein Heim und schiebe sie so rasch wie möglich wieder ab.

Bleibt Kumpf nun ohne Anklage? Wenn es nach den österreichischen Behörden geht, ja. Doch es gibt auch andere Möglichkeiten, den SS-Helfer der Justiz zu übergeben. In Spanien haben Überlebende von Nazi-Lagern Anklage gegen vier frühere KZ-Aufseher erhoben. Obwohl sich deren Untaten nicht in Spanien ereignet haben, akzeptierte das Madrider Gericht die Anklage. Allein in den KZ Mauthausen, Sachsenhausen und Flossenbürg, in denen neben Demjanjuk Anton Tittjung, Josias Kumpf und Johann Leprich als Aufseher walteten, starben mindestens 4300 spanischen Gefangene, begründete Richter Moreno die Zuständigkeit der spanischen Justiz und die Aufnahme des Verfahrens.

Es gibt möglicherweise noch eine andere Variante, Kumpf vor ein Gericht zu bringen. Nach dem Tatort-Prinzip: Sachsenhausen liegt in Brandenburg. Hat Kumpf sich dort an Verbrechen beteiligt, wäre die Staatsanwaltschaft Neuruppin zuständig. Und was die bei intensiven Ermittlungen zutage fördern würde, könnte für eine Anklage, ähnlich der gegen Demjanjuk, reichen.

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