Und sie bewegt sich doch

Vor 225 Jahren wurde der Astronom Friedrich Wilhelm Bessel geboren

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.

Es gibt mindestens zwei gute Gründe, das Leben und Werk des deutschen Astronomen Friedrich Wilhelm Bessel zu würdigen. Erstens leistete dieser maßgebliche Beiträge zur wissenschaftlichen Erforschung des Himmels. Und zweitens erbrachte er jenen zwingenden Nachweis für die copernicanische Theorie vom Umlauf der Planeten um die Sonne, den im Prinzip schon Galileo Galilei gesucht, aber nicht gefunden hatte, obwohl er gern das Gegenteil behauptete.

Doch der Reihe nach: Friedrich Wilhelm Bessel, der am 22. Juli 1784 im westfälischen Minden geboren wurde, kam auf Umwegen zur Astronomie. Mit 15 verließ er vorzeitig das Gymnasium, um in einem Bremer Handelskontor eine Kaufmannslehre zu beginnen. In seiner Freizeit allerdings erkundete er mit selbstgebauten astronomischen Instrumenten den Sternenhimmel. 1804 gelang es ihm sogar, die Bahn des Halleyschen Kometen neu zu berechnen. Von dieser Tat war der bekannte Astronom Wilhelm Olbers so beeindruckt, dass er dem jungen Kaufmannslehrling eine Stelle an der Sternwarte in Lilienthal bei Bremen verschaffte. Von hier aus ging Bessel 1810 als Professor für Astronomie an die Universität Königsberg, welcher er bis zu seinem Tod am 17. März 1846 treu blieb. Außerdem leitete er ab 1813 die Königsberger Sternwarte, deren Errichtung die preußische Regierung unter dem Einfluss Wilhelm von Humboldts schon während der Zeit der Napoleonischen Kriege beschlossen hatte.

In seinen frühen Königsberger Jahren erstellte Bessel einen umfangreichen Sternkatalog und legte diesen 1818 unter dem Titel »Fundamenta Astronomiae« der Öffentlichkeit vor. Ein Vergleich mit älteren Beobachtungsdaten lieferte ihm darüber hinaus die ersten zuverlässigen Erkenntnisse über die Eigenbewegung der Fixsterne. Beim Sirius war diese Bewegung erstaunlich unregelmäßig, wie Bessel 1844 feststellte. Kurz entschlossen machte er dafür den Einfluss eines zweiten unsichtbaren Sterns verantwortlich, der nach seinem Tod entdeckt und als Sirius B bezeichnet wurde. Seitdem wissen wir: Sirius ist ein Doppelstern. Außerdem entwickelte Bessel eine Störungstheorie für die Planetenbewegung und stieß dabei auf eine Differentialgleichung, die sich mit Hilfe der sogenannten Bessel-Funktionen lösen lässt. 1840 wagte er die Vermutung, dass die Störungen der Uranusbahn von einem noch unbekannten Planeten herrührten. Und wieder traf er ins Schwarze. 1846 wurde dieser Planet gesichtet und auf den Namen Neptun getauft.

Auf Bessels Initiative hin erwarb die Königsberger Sternwarte 1829 ein von Fraunhofer entwickeltes Heliometer. Mit diesem Gerät war es möglich, die Abstände von eng benachbarten Sternen am Himmel mit großer Genauigkeit zu bestimmen. Davon ausgehend nahm Bessel 1837 ein Problem in Angriff, um dessen Lösung sich die Astronomen bis dahin vergeblich bemüht hatten. Die Rede ist von der Fixsternparallaxe, deren Beschreibung sich schon im Werk von Nicolaus Copernicus findet: Wenn die Erde tatsächlich um die Sonne kreist, dann muss sich diese Bewegung in einer scheinbaren Verschiebung der Fixstern-Positionen am Himmel widerspiegeln.

Doch warum hatte niemand so etwas beobachtet? Copernicus' Antwort: Die Fixsterne seien einfach zu weit von der Erde entfernt, als dass man ihre scheinbare Bewegung nachweisen könnte. Das stimmte wohl für damalige Verhältnisse, doch im 16. und 17. Jahrhundert hielten katholische Geistliche dieses Argument für fadenscheinig. Und damit wären wir bei Galilei, der selbstbewusst erklärte, er besitze einen physikalischen Beweis für die Erdbewegung. Gäbe es einen solchen wirklich, schrieb Kardinal Robert Bellarmin im Jahr 1615, »dann müsste man sich mit großem Bedacht um die Auslegung der Schriften bemühen, die dem zu widersprechen scheinen, und eher sagen, dass wir es nicht verstehen, als zu sagen, das Bewiesene sei falsch«. Doch Galilei weigerte sich, seinen Beweis vorzulegen – mit der Begründung, dieser sei viel so kompliziert, um allgemein verstanden zu werden. Erst als der klerikale Druck wuchs, verstieg er sich zu der irrigen Behauptung, die Gezeiten würden unmittelbar durch die Erdbewegung verursacht. Dabei hatte schon Johannes Kepler das Entstehen von Ebbe und Flut mit dem gravitativen Einfluss des Mondes in Verbindung gebracht.

Aus alldem ziehen manche Autoren heute den Schluss, dass die Römische Inquisition in der Nachfolge von Kardinal Bellarmin gar nicht so falsch lag, als sie Galilei 1633 zwang, der copernicanischen Lehre abzuschwören. Denn Galilei besaß zu keiner Zeit einen zwingenden Beweis für die Bewegung der Erde. Darauf wäre meines Erachtens zweierlei zu entgegnen. Erstens weiß niemand, ob Bellarmin sich beim Vorliegen eines solchen Beweises tatsächlich so »tolerant« gezeigt hätte, wie er 1615 verlauten ließ. Denn an anderer Stelle erklärte er, dass »im Zweifelsfall« niemals von der Heiligen Schrift und der Meinung der Kirchenväter abzurücken sei. Und zweitens gibt es kaum Anhaltspunkte dafür, dass sich die Inquisition irgendwann von wissenschaftlichen Argumenten hätte sonderlich beeindrucken lassen. Immerhin dauerte es über 350 Jahre, bevor man in Rom übereinkam, Galilei offiziell zu rehabilitieren.

Dabei hatte sich dessen Traum von einem Nachweis der Erdbewegung bereits 1838 postum erfüllt: In Königsberg bestimmte Bessel die Parallaxe des Sterns 61 Cygni im Sternbild Schwan und berechnete, dass dieses Himmelsobjekt unvorstellbare zehn Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Zweifellos standen die Astronomen zu jener Zeit schon fest auf dem Boden des Copernicanismus. Dennoch galt es als Schönheitsfehler der heliozentrischen Theorie, dass sich eine ihrer Voraussagen partout nicht nachweisen ließ. Diesen Makel beseitigt zu haben, stellt Bessels größte wissenschaftliche Leistung dar und erhebt ihn in den Rang eines der bedeutenden Astronomen der Neuzeit.

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