Brechen nun alle Dämme?

Schweiz: Ende des Bankgeheimnisses nagt am Selbstverständnis

  • Heinz-Peter Dietrich, Genf
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Steuer- und Bankenparadies Schweiz bewegt sich etwas: Der Prozess in den USA um die Herausgabe von Steuersünderdaten und das faktische Ende des Bankgeheimnisses verändern die Wirtschaftswelt. Doch die Eidgenossen bleiben optimistisch.

Die Schweizer Regierung mischt sich in Bankgeschäfte ein, gibt das Bankgeheimnis preis und lässt international wichtige Akten gegen den Willen des Parlaments verschwinden. Was ist los im Land der Eidgenossen, fragen sich die Medien. Es zeige sich, dass die Schweizer ihr Inseldasein längst aufgegeben hätten und im Strom mitschwimmen müssten. Doch die Schweizer sind zuversichtlich, dass sie diesen Wandel überstehen werden. Konkurrenz fürchten die Banken jedenfalls kaum.

Bankgeheimnis nichts mehr wert?

Zwei Dinge treiben in diesen Tagen die Öffentlichkeit um. Einmal die Tatsache, dass die Schweiz nun mit der US-Regierung offenbar direkt über die Herausgabe von Daten hunderter amerikanischer Kunden der Großbank UBS verhandelt. Zum anderen, dass die Regierung darauf besteht, Atomakten zu vernichten, die in einem Strafprozess gebraucht werden könnten. Dabei handelt es sich um Beweisstücke gegen mutmaßliche Schweizer Atomschmuggler. Die Vernichtung soll auf Druck der USA geschehen, wird spekuliert. Wieder einmal sei klar, dass die Schweiz internationalem Druck, besonders dem der USA, nicht standhalten könne, so die Medien.

Nachdem vor Wochen das seit 75 Jahren heilige Bankgeheimnis von der Regierung eigenmächtig durchbrochen worden war, indem den USA die Daten von 250 Amerikanern mit UBS-Konto übergeben wurde, fürchten viele einen Dammbruch. Sollte sich die Regierung mit der US-Justiz einigen, gehe dies wohl nur auf Kosten der Herausgabe weiterer Datenmengen sowie der Zahlung einer saftigen Buße. Somit sei für das gesamte Schweizer Bankensystem das Bankgeheimnis nichts mehr wert, denn nun dürften andere Länder auf Gleichbehandlung mit den USA pochen, heißt es. Dabei wird allerdings vergessen, dass die Schweiz bei nachgewiesenem Steuerbetrug schon immer Daten ausgetauscht hat – besonders mit den USA.

Die Schweiz müsse bei einer Anerkennung der weltweit üblichen Steuerstandards kaum Nachteile fürchten, meint etwa der Staatsrechtler Thomas Fleiner. »Wir sind alle in der gleichen Finanzkrise, und wir müssen alle dafür sorgen, dass die Steuerzahler bereit sind, gegenüber dem Staat und gegenüber der Wirtschaft ihre Leistungen zu erbringen«, so Fleiner. Dies setze Zusammenarbeit auf internationaler Ebene und im Bereich des Steuerwesens voraus.

Bald keine Steuervorteile mehr

Der Steuerrechtsexperte Robert Waldburger von der Universität St. Gallen geht davon aus, dass es künftig international eine Gleichbehandlung in Steuerfragen gibt. Die Schweiz erreiche mit ihrer zugesagten Amtshilfe den allgemeinen Standard. Somit werde sie keinen Konkurrenznachteil haben. »Aber sie hat einen Konkurrenzvorteil aufgegeben, den sie bisher gegenüber gewissen anderen Finanzplätzen hatte. Doch die Auswirkungen werden nicht sehr gravierend sein«, so Waldburger.

Auch Vertreter der Schweizer Bankiersvereinigung sehen die Steuerauswirkungen und die Verhandlungen in Sachen UBS weitgehend gelassen. Martin Naville von der Handelskammer USA-Schweiz preist das Schweizer Bankensystem nach wie vor als sicher. Jüngste Zahlen des Finanzministeriums zeigen, dass immer noch 327 Banken in der Schweiz arbeiten – mehr als je zuvor, die zudem satte fünf Milliarden Franken (3,3 Milliarden Euro) Steuern zahlten. Allerdings ist der Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit 11,4 Prozent fast auf den des Jahres 2005 (11,3) zurückgefallen. Ende 2008 waren über 120 000 Menschen im Finanzsektor beschäftigt – knapp sechs Prozent der arbeitenden Bevölkerung. Rund 5000 Banker sollen allerdings in der Krise ihren Job verloren haben.

Die Schweiz bleibt dennoch offenbar für viele, gerade internationale Unternehmen auch weiterhin ein sicherer und steuergünstiger Hafen. Gerade erst hat der Fastfood-Konzern McDonald's angekündigt, seine europäischen Aktivitäten in Genf bündeln zu wollen. Feste gesetzliche Vorgaben etwa bei der Konzessionsvergabe oder beim Markenschutz gehören in der Schweiz zum Standard. Dies ist für Großunternehmen wichtig, ebenso wie die Steuervorteile. Holdinggesellschaften profitieren davon, und auch Procter & Gamble, Kraft und Yahoo sind schon da. Weitere haben ihr Kommen angekündigt.

Da die Zahl der Reichen in der Schweiz stetig steigt, wollen einige Kantone Sonderzonen freigeben, wo sie standesgemäß und ungestört leben können. Diese Raumplanungen für die »unter Wohnungsnot leidenden Reichen« stoßen schon auf Proteste. Ein immer größeres Millionärsparadies – dahin sollte die Schweiz nicht abdriften, finden Kritiker. dpa

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