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Die gefühlte Kreditklemme

Keine klaren Belege für knappere Darlehensvergabe an Firmen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Derzeit ist oft die Rede von der Kreditklemme. Die »Süddeutsche Zeitung« meldete gar, die Regierung erwäge, bei den Geldinstituten zwangseinzusteigen, um Kredite an die Wirtschaft zu erzwingen. Die Koalition dementierte allerdings am Montag.

Banken dienen der Politik gerne als Prügelknabe. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) wirft den Kreditinstituten vor, sie würden zwar von Staat und Zentralbank generös unterstützt, versorgten aber die Unternehmen in der Realwirtschaft nicht ausreichend mit Kredit. Solche Backpfeifen für die Banken sind heute aus guten Gründen populär, aber sind sie in diesem Fall gerechtfertigt, steckt die Wirtschaft wirklich in einer Kreditklemme fest?

Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel sagt »ja«: »Mittlerweile produzieren alle Banken, auch die bisher so gelobten Sparkassen und Volksbanken, eine Kreditklemme«, schreibt er im »Freitag«. Ähnlich klingende Stimmen sind auch aus der Wirtschaft zu vernehmen. Danach wird es für Firmen zunehmend schwieriger, an Kredite heranzukommen, ist das Ergebnis einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) unter 14 000 Unternehmen, und das Münchner Ifo-Institut meldet Klagen sogar aus Großunternehmen.

Doch es sind auch gänzlich anders lautende Stimmen zu hören: Der norddeutsche Unternehmensverband für Groß- und Außenhandel (AGA) konnte bislang keine Kreditklemme bestätigen, und die öffentliche Bürgschaftsbank Sachsen, die kleinere Betriebe und Existenzgründer unterstützt, sieht trotz Wirtschafts- und Finanzkrise ausreichend Darlehen fließen. Auch die offiziellen Angaben von Bundesbank, Wirtschaftsministerium und Europäischer Zentralbank bestätigen keine Kreditklemme. Die Darlehen an Unternehmen wuchsen während der Finanzkrise von 1260 Milliarden auf 1363 Milliarden Euro.

Doch Umfragen haben eine Schwachstelle: Kaum veröffentlicht, sind sie schon wieder veraltet. So liegen für Juni und erst recht für Juli keine verlässlichen Zahlen vor. Derzeit ist die Kreditklemme also nur eine gefühlte.

Laut Lexikon tritt eine Kreditklemme dann ein, wenn eine schlechte Finanzsituation Banken dazu zwingt, die Darlehensvergabe zu drosseln oder ganz einzustellen, obwohl am Markt eine entsprechende Nachfrage existiert. »Das ist in der momentanen Situation nicht der Fall«, schreibt ausgerechnet die Gewerkschaft IG Metall in einer Analyse. Und wer sich die genannte DIHK-Umfrage genauer anschaut, stellt fest, dass Firmenbosse grundsätzlich über die Kreditvergabe der Banken laut klagen – selbst in besten Jahren. Ohnehin haben viele Firmen in guten Zeiten ihre Gewinne an Eigentümer und Aktionäre ausgeschüttet, statt sie für schlechtere Tage zu parken. So ist manche »Kreditklemme« in der Realwirtschaft selbst verschuldet.

Trotzdem gibt es in einer Rezession viele Finanzierungsengpässe. Banken verlangen für die alltägliche Verlängerung von Krediten einen höheren Zinssatz als Risikopuffer, wenn sie ein höheres Risiko befürchten, oder lehnen sogar ein neues Darlehen ab. In einer Krise ist das selbstverständlich häufiger der Fall als während der zurückliegenden Hochkonjunktur. Dies mag nicht in jedem Einzelfall gerechtfertigt sein, ist aber ansonsten zweckmäßig und im Kapitalismus volkswirtschaftlich sinnvoll. Das meint die IG Metall, wenn sie schreibt: »Förderungen von Unternehmen ohne solide Zukunftsaussichten können im Endeffekt wesentlich mehr Arbeitsplätze kosten als eine Nicht-Förderung.« Einen dicken Risikopuffer werden Kreditinstitute bald dringend benötigen. Selbst wenn die Krise ihre Talsohle erreicht haben sollte, wird mit einer Zeitverschiebung eine Welle von Firmenpleiten über die Wirtschaft hinwegrollen.

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