Philharmonie statt Einheits-Zeremonie

Schalkhafte Comic-Biografie über den rasanten Aufstieg der Kanzlerin

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 4 Min.

Da thront sie auf dem Siegertreppchen: Unsere frisch toupierte Bundeskanzlerin mit kessem Krönchen auf dem Haupt, beide Arme hochreißend zum Victory-Zeichen. Zu ihren Füßen schauen ziemlich betröppelt Kohl, Lafontaine, Schröder – und nicht zuletzt der Edi Stoiber. »Wie konnte es nur so weit kommen?« scheint in ihre Minen eingraviert.

Aufschlüsse darüber gibt die pünktlich zur Bundestagswahl erschienene Comic-Biografie »Miss Tschörmänie – Wie aus Angie unsere Kanzlerin wurde«. Anders als der etwas bemüht witzige Titel suggeriert ist der »Welt«-Journalistin Miriam Hollstein und dem Cartoonisten Heiko Sakurai hier ein großer Wurf gelungen. Und der bestens amüsierte Leser fragt sich, wieso erst jetzt jemand auf die Idee kam, die sagenhafte Genese von Kohls bravem »Mädchen« zur ersten Staatsfrau von Weltrang zu bebildern.

Merkels Ziehvater Kohl wurde kurz nach seinem Amtsantritt mit Peter Knorrs und Hans Trexlers »Birne – das Buch zum Kanzler« verewigt – ein Buch, das speziell bei Kohl-Hassern zum Bestseller avancierte. Herlinde Koelbls Fotostrecken »Spuren der Macht« hatten zwar schon beredtes Zeugnis abgelegt von Merkels politischer Morgendämmerung in Bonn, doch endlich wagt sich der Comic an ihre gesamte Vita heran.

Wir erfahren, wie strategisch Angie die Strippen zog bis zum legendären Wolfratshausener Frühstück mit Edi. Routiniert spult sie ihr erprobtes Repertoire ab, als sich im Januar 2002 die brisante Frage der Kanzlerkandidatur stellte: So folgt auf die »Mädchen-Nummer«, die sie vor dem übermächtigen Kohl spielt, die »Respekt-Nummer« gegenüber Schäuble und die »Chefin-Nummer« vor Friedrich Merzens Vorpreschen bis hin zur »Partner-Nummer«, die sie scheinbar versöhnlich neben Stoiber mimt. Um dem Putsch des fiesen Anden-Pakts (Koch, Müller, Oettinger und viele andere CDU-Granden) zuvorzukommen, schlägt sie kurzerhand in Stoibers oberbayerischem Domizil mit Semmeln und Weißwurst auf.

Der rettende Einfall, der ihre eminent gefährdete Autorität als Parteivorsitzende wahrte, kam ihr, als sie in melancholisches Grübeln mit den bekannten Hängebacken versunken war. Da taucht in einer Gedankenblase der Vater der Pastorentochter auf, der ihr nachdrücklich einhämmert: »Du musst die Dinge vom ENDE her denken, Angela.« Im Anschlussbild sehen wir Angie in Wicki-Manier mit strahlenden Augen, bekrönt von zwei Engelchen, die mit Posaunen zum Jüngsten Gericht blasen: »Das ist es!« Köstlich, wie sie anschließend zielstrebig ihren Trolley in »Munich Airport« hinter sich herzieht. Facettenreich lotet Zeichner Sakurai die verschiedenen Seelenzustände seiner Protagonistin aus, die sich clever wie situationsbewusst im Haifischbecken der »Parteifreunde« ihren Weg bahnt. Subtil vermag der Comic neben der Faktenebene jene subkutane der tatsächlichen Gedanken und Motivationen via Gedankenblasen abzubilden.

Mit feinem Hintersinn und Humor garniert Texterin Hollstein als intime Kennerin der politischen Bühne die gar nicht glatte Parteienlaufbahn der Angela Merkel mit präzisem Detailwissen. So verpasste sie nicht nur den Mauerfall, da sie seinerzeit in der Sauna schwitzte. Nein, auch beim staatstragenden Anstimmen der Nationalhymne am 3. Oktober 1990 vor dem Brandenburger Tor glänzte sie durch historische Abwesenheit – und gab einem Konzert in der Berliner Philharmonie den Vorzug. Mit Gelassenheit registriert sie, wie sich ihr peu à peu die politische Karriere öffnet, wie ihr als Überraschungskandidatin der Wahlkreis Rügen in den Schoß fällt. Passend dazu Schröders Staunen: »Durch NICHT-Saufen zum Wahlkreis, das ist neu!« Getreulich sekundiert von Stoibers Disziplin: »Und deshalb war in meiner Maß immer nur Tee!«

In gewohnter Nüchternheit nimmt sie 2002 die Wahlschlappe zur Kenntnis, nicht ohne am Tag darauf im CDU-Präsidium das Amt der Fraktionschefin zu beanspruchen. Der mimische Kommentar dazu ist eher ein schalkhafter denn ein triumphierender. Gemäß dem physikalischen Grundsatz: »Man lässt die richtigen Kräfte wirken, und alles geht von alleine.«

Das Verschmitzte ist der Generalbass, den dieser Comic anschlägt. Letztlich wird ein beinahe liebevolles Bild der Kanzlerin gezeichnet, deren wahre Überlegenheit gegenüber dem dünkelhaften Männerklüngel sich bestens hinter biederem Anschein tarnt. So hatte De Maizière nichts an seiner Vize-Sprecherin auszusetzen. »Fast nichts«, denn im Comic bittet er sie lakonisch: »Könnten Sie sich für den Staatsbesuch in Moskau neue Schuhe kaufen?«

Pfiffig auch die Idee, den unaufhaltsamen Aufstieg des chronisch unterschätzten »Mädchens« (»Natürlich kann sie’s nicht!«) in einen Rahmendialog zwischen Stoiber und Schröder einzubetten. So flankieren die zynischen und machohaften Kommentare das Geschehen und reiben sich mehr als einmal die Augen, wenn sich Angie wieder gegen alle Erwartungen durchsetzt.

Amüsant steigt das Buch ein bei der Ausbreitung der Sozialisation, die sie im uckermärkischen Pfarrhaus erfuhr. Ungelenk hüpft da Klein-Angie in von der Tante spendierten West-Jeans zwischen ihren Freundinnen in Ost-Miniröcken, was den Kommentar provoziert: »Insgesamt war Angelas Jugend glücklich, auch wenn sie damals schon etwas Gesamtdeutsches hatte.« Und das väterliche Einschwören, sämtliche Familienkonversation gegenüber der Außenwelt als absolutes top secret zu begreifen, führt zu folgendem Fazit: »Familie Kasner befand sich in einem Zustand der permanenten Wagenburg – was Angela sehr prägen sollte.«

Miriam Hollstein/Heiko Sakurai: Miss Tschörmänie – Wie aus Angie unsere Kanzlerin wurde. Eichborn, 64 Seiten, 9,95 €.

Abbildungen: Eichborn Verlag
Abbildungen: Eichborn Verlag
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