Wahnsinnig interessantes Theater mit Jedermann

Hugo von Hofmannsthal wird am Tornowsee inszeniert / Psychisch Kranke als Statisten und Techniker

»Jedermann« vor dem Haus am Tornowsee
»Jedermann« vor dem Haus am Tornowsee

»Mit gelben Birnen hänget/ Und voll mit wilden Rosen/ Das Land in den See...«, so beginnt Friedrich Hölderlins (1770-1843) berühmtes Gedicht »Hälfte des Lebens«. Die zweite Hälfte seines Lebens verbrachte der Lyriker als unheilbar Wahnsinniger. Jetzt wird vor dem Haus am Tornowsee in der Märkischen Schweiz Hugo von Hofmannsthals Erfolgsstück »Jedermann« gegeben und psychisch Kranke wirken bei dieser Inszenierung mit.

Hölderlin & Co. heißt die neue Abteilung der gemeinnützigen Prenzl Komm gGmbH, die dies ermöglicht. Genie und Wahnsinn liegen bekanntlich dicht beieinander, heißt es dazu. Kreativ begabte Menschen seien oft anfällig dafür, seelisch zu entgleisen.

»Psychisch Kranke sind nicht intellektuell eingeschränkt«, betont die Abteilungschefin Julia Jacob. Oft landen sie jedoch in einer Behindertenwerkstatt und sind dort natürlich unterfordert. Mit Hölderlin & Co. soll einigen Kranken gegen Ende ihrer Therapie eine Perspektive in der Kreativwirtschaft geboten werden. Die Arbeit an einem Theaterstück sei »anspruchsvoller« als Schultüten zu basteln, weiß die Theaterwissenschaftlerin Jacob. Aber zu ihr kommen nicht selten Künstler, »und im Idealfall werden sie auch als Künstler entlassen«.

Aufgeführt wird »Jedermann« das nächste Mal morgen und am 14. August vor dem Haus am Tornowsee, das sich hinter Pritzhagen befindet. In dem Gästehaus sorgt die Prenzl Komm gGmbH gewöhnlich für Rehabilitation, indem sie psychisch Kranke für Tätigkeiten in der Gastronomie- und Hotelbranche anlernt.

Die Abteilung Hölderlin & Co. gibt es seit Januar. »Jedermann« sei die erste Produktion »auf diesem Niveau«, erzählt Jacob. Unter der Regie von Andreas R. Bartsch spielt Stephan Schill die Hauptrolle in dem Stück, das laut Jacob als »ironische Parodie« auf die originale Fassung dargeboten wird. Die psychisch Kranken agieren im Hintergrund, zum Beispiel helfen sie als Assistenten bei der Lichttechnik und der Requisite. Zwei stehen jedoch auch auf der Bühne, allerdings in Statistenrollen.

Für den Winter, wenn die Aufführung unter freiem Himmel unmöglich ist, soll noch eine Fassung entstehen, die im Haus gezeigt werden kann. Geplant ist außerdem ein Hölderlin-Porträt. Hier werden die psychisch Kranken, die beispielsweise an Schizophrenie, Depressionen oder Neurosen leiden, auch Sprechrollen übernehmen, kündigt Jacob an. Premiere soll im Oktober in Berlin gefeiert werden. Den »Jedermann« probte Hölderlin & Co. in einem Tanzsaal an der Schönhauser Allee in Berlin. Dort befindet sich der Stammsitz von Prenzl Komm. Eine alte Fabriketage im Norden der Hauptstadt soll zur Probebühne ausgebaut werden.

  • Zum Prenzl-Komm-Verbund gehören eine Manufaktur in Strausberg, eine Praxis für Ergo- und Physiotherapie in Bernau und Reittherapie auf einem Hof in Liebenthal.
  • Prenzl Komm beschäftigt 74 Mitarbeiter und außerdem Honorarkräfte.
  • Das Haus am Tornowsee ließ Wilhelm von Oppeln errichten. Er zog 1912 mit seiner Familie ein. Die Güter Bollersdorf und Pritzhagen hatte er 1908 von seiner Großtante Gräfin Luise von Itzenplitz übernommen. 1945 diente das Haus als Lazarett der sowjetischen Truppen und dann ab 1946 als Kinderheim – zunächst für Kriegswaisen. Seit dem Jahr 2000 bewirtschaftet Prenzl Komm das Gebäude.

»Jedermann«, Haus am Tornowsee bei Pritzhagen (Märkisch-Oderland), 22. Juli und 14. August, jeweils 21 Uhr, Eintritt: 25 Euro, ermäßigt 12 Euro. Die knapp 150 Plätze der Zuschauer sind durch eine Zeltplane gegen Regen geschützt

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