Mitbauen am Erbgut

Forschungen zeigen, dass veränderte Genschalter weitergegeben werden

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.

Eine der leidigsten Debatten in der Biologie des Menschen ist lange Zeit die Frage gewesen, ob wir letztlich das Produkt unserer Umwelt oder aber unserer Gene sind. Zumindest in der Biologie hat dieser Grabenkampf inzwischen nachgelassen. Die moderne Genforschung selber hat zeigen können, dass es eher um ein Sowohl-als-auch geht.

»Gene sind weder Diktatoren noch autistische Eigenbrötler« – so hat es bereits vor drei Jahren der Freiburger Medizin-Professor Joachim Bauer in einem Buch formuliert. »Gene empfangen Signale und reagieren auf sie, kommunizieren also mit der Umwelt. Sie steuern nicht nur, sie werden auch gesteuert.« Äußere Einflüsse drücken gewissermaßen auf Gen-Schalter, oder sie lassen es eben bleiben.

Es sei in den Genen keineswegs »unveränderlich vorherbestimmt, wie wir sind«, schrieb Bauer zwei Jahre später in seinem Buch über »Das Kooperative Gen«. Vielmehr habe auch »die Art, wie wir leben, Einfluss auf unsere Gene«. Welche Einflüsse das sind, untersuchen Fachleute eines noch recht neuen Forschungsfeldes namens Epigenetik – eine Art Zusatz-Genetik neben dem eigentlichen Gen-Code.

Die emsig betriebene Forschung der letzten Jahre zur außenreizgesteuerten Blockade oder Aktivierung von Genen gehört zu den spannendsten Feldern der Humanbiologie. Nun hat Peter Spork, selber promovierter Biologe, den Erkenntnisstand der Epigenetik umfassend und großenteils leicht verständlich dargestellt. Auf rund 260 Seiten veranschaulicht er »das lange gesuchte Bindeglied zwischen der Umwelt und unseren Genen«.

Spuren in den Zellen

Auf das Thema seines inzwischen fünften Buchs ist der Hamburger Wissenschaftsautor seit »etwa sieben Jahren immer wieder gestoßen«, egal ob es um Krebsforschung, Alternsforschung, Evolutionsbiologie oder die Entstehung komplexer Krankheiten ging. »Anfangs konnte ich mit dem Begriff kaum etwas anfangen, doch je mehr ich darüber erfuhr, desto spannender erschien mir das Thema.« Die Erkenntnisse der Epigenetiker dürfe man »schon mal eine Revolution nennen«.

Denn Epigenetik helfe den Forschern dabei, »völlig neue Wirkstoffe und Therapien zu entwickeln. Sie lehrt uns, wie wir unsere Gene mit Hilfe des Lebensstils ein Stück weit selber steuern können.« Spork geht noch weiter, wenn er meint, die Epigenetik erkläre, »wie sich Teile unseres Charakters gebildet haben und wie wir mit unseren Gewohnheiten die Persönlichkeit unserer Kinder beeinflussen.«

Dieser letzte Punkt verlässt die eingefahrenen Pfade der klassischen Genetik am weitesten und wird so noch Diskussionsstoff liefern. Und zugleich geht von dieser These ein moralischer Druck auf jeden Menschen aus. Denn selbst wenn ihm oder ihr der eigene Körper oder die eigene Seele gleichgültig sind, sollte ein höheres Wohlbefinden und längeres Leben für die eigenen Kinder und Enkel doch Anreiz genug sein, den eigenen Lebenswandel zu überdenken. »Wer sich dem Gift Nikotin aussetzt, spielt ein gefährliches Spiel mit den Schaltern an seinem Genom«, warnt Spork zum Beispiel die Raucher. Er verändere die Genschalter so, »dass der Krebs in Zukunft kaum noch auf eine zelluläre Gegenwehr trifft und leichtes Spiel hat«.

Doch die Lust am Glimmstängel ist nur ein Beispiel. »Fast alles, was wir Menschen tun und was andere mit uns tun, wirkt sich auf unsere Zellen aus«, schreibt Spork. Es hinterlasse »Spuren im molekularbiologischen Fundament unseres Körpers«. Der in seinem Buch zitierte US-Biologe Randy Jirtle bringt es auf die Formel: »Wir haben ungeahnte Macht über unsere Gene und die unserer Kinder.«

Spork selber führt dazu aus: »Was unsere Mutter gegessen hat, während sie mit uns schwanger war, hat unter Umständen mehr Auswirkungen auf unser Gesundheit im Alter als die Mahlzeiten, die wir gerade zu uns nehmen. Und der Botenstoff-Mix, der unser Gehirn in den Monaten vor und nach der Geburt überschwemmt, prägt unsere Persönlichkeit oft stärker als die Erziehung, die wir in den vielen Jahren danach erhalten.«

Biochemisches Gedächtnis

Wer darüber verzweifelt, dass so viele Versuche, schlanker zu werden, gescheitert sind, könnte die Antwort darauf in Sporks Buch finden. Denn auch die Art, wie wir Speisen und die darin enthaltenen Kalorien verwerten, kann mit der Lebensweise unserer Eltern und Großeltern sowie mit Prägungen im Mutterleib oder in der frühesten Kindheit zu tun haben.

Hier lägen auch die Gründe dafür, »warum die vielen gutgemeinten Gesundheitskampagnen wie Fit statt Fett so oft versagen und fast jede erfolgreiche, medizinisch erforderliche Gewichtsabnahme dem berühmten Jojo-Effekt zum Opfer fällt«, erklärt Spork das Phänomen. Auch wenn viele Genetiker inzwischen einräumen, dass Alkoholkonsum oder Abstinenz, Sport oder Bewegungsarmut, erlebte Liebe oder Missachtung den Einfluss der Erbanlagen auf unser Leben mitsteuern, so ist die Weitergabe dieser biochemischen Erfahrungen an unsere Nachkommen bisher noch umstritten.

Spork zufolge häufen sich jedoch die Hinweise, dass wir neben unserem Erbgut auch Teile unseres eigenen epigenetischen Codes an unsere Nachfahren weitergeben. Bei Gewächsen aller Art sei längst erwiesen, dass sie auch das biochemische »Gedächtnis ihrer Zellen« weitervererben. Jedenfalls erscheine es »mehr als wahrscheinlich, dass Menschen mit ihrem weitgehend selbst erwählten Lebensstil nicht nur die eigene Gesundheit beeinflussen«, schreibt der Buchautor. Für ihn bestehe »kein Zweifel: Mit einer gesunden Lebensweise können wir unser biomedizinisches Schicksal verändern.«

Auch Spork selber versucht sich sein Buch zu Herzen zu nehmen. Er achte mehr auf sein Gewicht, ernähre sich gesünder und versuche, wieder mehr Sport zu machen, da er das zwischenzeitlich »etwas vernachlässigt« habe. »Ganz besonders versuche ich aber, meine Kinder für diese Dinge zu motivieren«, betont der Publizist. »Und ich achte noch mehr als früher auf eine möglichst fördernde und liebevolle Erziehung.«

Peter Spork: »Der zweite Code. Epigenetik – oder wie wir unser Erbgut steuern können«. Rowohlt-Verlag 2009. 320 S., geb., 19,90 €.

Im Internet: epigenome.eu/de

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