Die »dummen Streiche« des Pabst

Neuentdeckte Akten enthüllen einen vertuschten Putschversuch gegen die Weimarer Republik vor 90 Jahren

  • Erwin Könnemann
  • Lesedauer: 6 Min.
Kleiner Napoleon: Waldemar Pabst / Brutales Vorgehen der Garde-Kavallerie-Schützen-Division
Kleiner Napoleon: Waldemar Pabst / Brutales Vorgehen der Garde-Kavallerie-Schützen-Division

In den frühen Morgenstunden des 21. Juli 1919 marschierten Teile des aus drei Divisionen bestehenden Garde-Kavallerie-SchützenKorps aus ihren Garnisonen um Berlin in das Zentrum der Reichshauptstadt, um die neu gebildete sozialdemokratische Reichsregierung Gustav Bauer zu stürzen. Da der Kommandeur des Korps, General von Hoffmann, schwer herzkrank war, vermochte der umtriebige Generalstabsoffizier Hauptmann Waldemar Pabst – der den Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Januar des Jahres befohlen hatte – uneingeschränkt schalten und walten.

Die Revolution zurückdrehen

In einem 1933 erschienenen Buch brüstete sich Pabst rückblickend, dass »auch andere Formationen der sich zu jener Zeit aus dem Freiwilligenheer bildenden Reichswehr nötigenfalls über die Köpfe der höheren Führer hinweg zum Eingreifen veranlasst wurden«. Es handelte sich also um ein groß angelegtes militärisches Unternehmen. Dies belegen auch Erlasse und Befehle, die sich im Nachlass von Oberst Max Bauer befinden. In einem Erlass heißt es, dass der Reichspräsident und das Kabinett »ihre Posten niedergelegt« hätten; ein neues Kabinett würde »morgen gebildet« werden. Der Befehlshaber des Reichswehrgruppenkommandos 1, General von Lüttwitz, übernähme »die gesamte Staatsgewalt als Militärdiktator«, General von Hoffmann würde der Oberbefehl über die Wehrmacht übertragen. Damit hätte Hauptmann Pabst eine Schlüsselstellung inne. General Groener von der Obersten Heeresleitung und der Preußische Kriegsminister Reinhardt sollten »mit Gewährung der gesetzlichen Pension zur Disposition« gestellt werden.

Es ging jedoch nicht um einen einfachen Personenwechsel, sondern um tiefgreifende, gesellschaftliche Veränderungen. Widerstand der Volksmassen war zu erwarten. Dieser sollte mit »Waffengewalt gebrochen« werden. In Erlassen an die Truppen, die Polizei und die Einwohnerwehren heißt es: »Wer zum Streik aufruft, wer Regierungsflugblätter abreißt oder sonst vernichtet, wer zu Streik, Gewalttat und Unruhe auffordert«, wird mit dem Tode bestraft. Den Tod hatte auch zu gewärtigen, »wer Arbeitswillige an der Arbeit hindert, wer Sabotage verübt, wer plündert oder sonstige Gewalttaten verübt«. Standgerichte sollten »ihre Urteile im mündlichen Verfahren an Ort und Stelle« fällen, Berufung wurde ausgeschlossen. Es war also die Errichtung eines uneingeschränkten Militärregimes geplant. Und das blutige Vorgehen der Garde-Kavallerie-Schützen-Division in den Januar- und Märzkämpfen 1919 mit Maschinengewehren, Panzerautos, Flugzeugen, Flachbahngeschützen und Minenwerfern gegen die Berliner Arbeiter hatte bewiesen, dass es keine leeren Drohungen waren. Errungenschaften der Novemberrevolution und die Weimarer Demokratie sollten beseitigt werden.

So war es auch kein Zufall, dass einen Tag vor dem Pabst-Putsch, am 20. Juli 1919, der politische Berater Ludendorffs im Ersten Weltkrieg, Oberst Max Bauer, den Generalmajor Maercker in einer Offiziersberatung im Gebäude des Reichswehrgruppenkommandos 1, an der etwa 30 Kommandeure teilnahmen, dazu aufforderte, die Nationalversammlung »zu sprengen, die Regierung zu stürzen« und eine Regierung des »Könnens und der Tat« zu bilden. Als Maercker dieses Ansinnen zurückwies, weil er es für »aussichtslos und militärisch undurchführbar« hielt, vermittelte Bauer ihm ein Gespräch mit dem ostpreußischen Generallandschaftsdirektor Kapp, der in eingeweihten Kreisen als der »kommende Mann« galt. Kapp wollte den Umsturz nach eigener Bekundung möglichst noch vor der Annahme der Weimarer Verfassung im August 1919 auslösen, weil die damit verbundene Vereidigung der Beamten, Offiziere und Mannschaften eine weitere »Befestigung der Revolutionsregierung« bewirken würde. Er hatte bereits am 8. Juli 1919 in seine Berliner Privatwohnung die Generale von Below, Loßberg und Ludendorff geladen. Letzterer hatte sich darauf gut vorbereitet. Am 5. Juli ließ er durch Oberst Bauer bei dem Stabschef des englischen Militärgouverneurs in Köln, Colonel Ryan sondieren, wie sich die britische Regierung bei einem konservativen Umsturz unter seiner Beteiligung verhalten würde.

Ermunterung durch die Briten

In einer Aktennotiz über dieses Gespräch, die sich im Nachlass Kapps befindet, wird festgestellt, dass eine offizielle Beteiligung Ludendorffs abgelehnt würde, einer inoffiziellen jedoch nichts im Wege stünde. Ob es sich hier um eine gewagte Interpretation der Worte Ryans durch die Verschwörer handelt, muss dahingestellt bleiben. In einem leider undatierten Entwurf einer »Note an die Alliierten Mächte« sprechen die Kappisten allerdings Klartext. Dort heißt es u. a.: »Die geplante Auflösung des Garde-Kavallerie-Schützen-Korps wird den Anstoß für die in nächster Zeit in Deutschland eintretenden Veränderungen geben.« In Deutschland drohe der Bolschewismus. Die »haltlose Regierung« könne »unter dem Druck der radikalistischen Elemente« den Friedensvertrag nicht sichern, das könne nur eine konservative Regierung. Niemand würde an die »Aufrichtung des Militarismus denken«. Das Garde-Kavallerie-SchützenKorps wolle lediglich »die Aufrechterhaltung der Ordnung« garantieren. Ludendorff würde sich »nach Kenntnisnahme der Wünsche der Alliierten Mächte die geforderte Zurückhaltung« auferlegen. Wie aus den »Documents on British foreign Policy« hervorgeht, hat der britische Staatssekretär Balfour, informiert durch Ryan, tatsächlich erklärt, England werde weder direkt noch indirekt feindlich eingreifen, falls bei der Niederschlagung eines revolutionären Umsturzes in Deutschland eine Militärdiktatur entstünde. Damit fühlte sich Ludendorff in seinem Vorhaben ermutigt. Er verwarf daher auf der Zusammenkunft mit Kapp am 8. Juli dessen Plan einer »nationalen Erhebung von Ostpreußen« aus und plädierte für den Schlag direkt in Berlin mit Hilfe des Garde-Kavallerie-Schützen-Korps.

Am gleichen Tag, am 8. Juli, suchte Hauptmann Pabst die beiden Generalstabsoffiziere von Stockhausen und Hammerstein des Reichswehrgruppenkommandos 1 auf, das unter dem Befehl von General Lüttwitz stand, um sie für den Staatsstreich zu gewinnen. Die beiden lehnten das jedoch ab und informierten ihrerseits die Generale Groener und Seeckt. Erbost trug Groener in sein Tagebuch ein: »Pabst will also den kleinen Napoleon spielen.« Und General von Seeckt, der tags zuvor Chef des Truppenamtes geworden war (d. h. de facto des Großen Generalstabes), stellte Pabst in der schärfsten Form zur Rede. Er drohte ihm Festnahme an, wenn er »dumme Streiche« mache und schickte ihn in einen dreimonatigen Urlaub in der Hoffnung, dass Gras über die Sache wachse.

Der unbehelligte Hochverräter

Pabst trat den Urlaub jedoch nicht an. Und als Noske die Aufteilung des Garde-Kavallerie-SchützenKorps auf vier Reichswehrbrigaden anordnete, führte Pabst auf eigene Faust das militärische Abenteuer in der Erwartung durch, andere gleichgesinnte Militärs mitreißen zu können. Unter dem Vorwand, kommunistische Aufstände niederschlagen zu müssen, setzte er die Truppen, denen er eine Solderhöhung und extra Kampfzulage zusicherte, in Bewegung. Seeckt ließ sich jedoch nicht von einem subalternen Offizier das Gesetz des Handelns vorschreiben. Er veranlasste, dass General von Lüttwitz eilends aus dem Urlaub zitiert wurde, um das Unternehmen, mit dem er selbst sympathisierte, im letzten Moment aufzuhalten.

Alles wurde vertuscht und der tödliche Angriff auf Berlin als »Demonstrationsmarsch« verharmlost. Die Berliner Presse berichtete nichts darüber. Und in Darstellungen zur Geschichte der Weimarer Republik findet sich nichts oder nur Irreführendes über den beabsichtigten Stoß in das Herz der jungen Republik. Bisher unbekannte Archivalien enthüllen jetzt die historische Wahrheit.

Pabst wurde nicht als Hochverräter vor Gericht gestellt, wie es erforderlich gewesen wäre, sondern nur aus dem Heeresdienst entlassen. Im Auftrag von Ludendorff und Kapp gründete er zur besseren Vorbereitung eines konterrevolutionären Umsturzes eine Dachorganisation der »vaterländischen Verbände«, die so genannte Nationale Vereinigung. Hugo Stinnes, einer der größten Kriegsgewinnler, stellte einen monatlichen Betrag von 125 000 RM zur Verfügung. Aber auch dem Kapp-Lüttwitz-Lüdendorff-Putsch März 1920 blieb der Erfolg versagt.

Der Hallenser Professor war Mitherausgeber der Dokumentation »Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch« (Olzog, München 2002), in der die hier zitierten Nachlass-Materialien abgedruckt sind.

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