nd-aktuell.de / 29.07.2009 / Kultur / Seite 9

Kindlicher Brocken

Traugott Buhre tot

Hans-Dieter Schütt

Er war Dieter Gütt. Er spielte ihn im Fernsehen, und er sah aus, als wäre er Gütt – dieser 1990 verstorbene legendäre politische ARD-Journalist, der mit Verve die Skepsis lebte, »gegen alles politische Taktieren, das er, zumindest in Fragen der deutschen Schuld, als etwas der Unmoral nahe Verwandtes ansah« (Joachim Fest). Das war Traugott Buhres, des ostpreußischen Pfarrersohns, größte Fernsehrolle.

Im Theater war er vor allem ein Kombattant Claus Peymanns. In Bochum, in Wien, in Berlin. Als Peymann 1999 das Berliner Ensemble übernahm, übernahm er zunächst Wiener Inszenierungen, Buhre war der Protagonist. Mit seinem auffallend körperlichen Zugriff, der noch in jeder Zerfahrenheit und jeder Brüchigkeit ganz aus der Sicherheit des Stämmigen erwuchs. Ddas neue BE brabbelte, dröhnte, knurrte, knatterte und ächzte vor allem mit der Stimme und dem unverkennbar Bauchigen dieses Darstellers (bauchig bis in die Augen, bis hin zum Mund.)

»Der Theatermacher« von Thomas Bernhard: Bruscon, der einst große Staatsschauspieler, zieht mit

seiner Weltkomödie durchs Leben, und diese Komödie vereint wirr und willkürlich, von Nero bis Hitler, alle Heroen der Historie. Buhre konnte man nicht sehen, ohne an Kurt Böwe zu denken (er hatte die Rolle am DT gespielt). In der Endphase der DDR war Böwes grandioser Bruscon eine fleischfreudige Parodie auf Wahn und Wurschtigkeit eines kugelrunden Räsoneurs. Buhres Bruscon dagegen gierte nach den kältesten Erkenntnissen, etwa, wenn er seine talentlose Familie traktierte: Es kommt der Zeitpunkt, da wir begreifen, dass alle Bindungen Ketten sind, die abzuschütteln zu spät ist, weil wir uns zu sehr gewöhnten. Böwe bot die Beschimpfung der talentlosen Gemeinde, Buhre vollzog Familienvernichtung.

In »Vor dem Ruhestand« von Thomas Bernhard war er Rudolf: der bundesdeutsche Gerichtspräsident, der sich jedes Jahr einmal im Familienkreis in den gewesenen SS-Mann verwandelt, übermütig das Gewehr aus dem Waffenschrank holt und die Pistole an die Schläfe der ungeliebten Schwester hält – Buhre spielte ihn als Schweinchen Schlau, als Barbaren, der in Uniform zum glücklichen Buben wird. Aufblühte da ein Mensch, der tut, was er denkt. Und der dabei denkt, bald wieder tun zu können, was er vorerst nur denken darf. Buhre memorierte jenen noch immer wachen Biedersinn, der alles andere als abseitig ist und der die toten Nazigrößen auf eine Art nicht vergisst, dass es wohl selbst die Ungeborenen friert.

In »Der Ignorant und der Wahnsinnige« schließlich (Regie: Philip Tiedemann) war er der Vater eines kunstbesessenen Arztes, ein trinkendes Unglücks- und Sturheitsbündel. Pfiffig mit seiner Blindheit spielend, im Alkohol routiniert erschlaffend. Mit Interesse heuchelnden Wortfetzen begleitete er das quäkende Wortgeprassel des kalt schwitzenden Wahnsinnigen, der an der Qual seiner Erkenntnisse körperlich leidet.

Buhre konnte in seiner präsenten Massigkeit ein schwebendes Gemüt sein, in seiner Kraft war er nie derb, er blieb noch als Stärkebrocken ein staunendes Kind.

Jetzt ist Traugott Buhre achtzigjährig in Berlin gestorben.