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Die Fronten sind extrem verhärtet

Wer stiftete den gewaltsamen Aufruhr nach dem Urnengang im April an?

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.
Am heutigen Mittwoch sind die Bürger der Republik Moldova zum zweiten Mal in diesem Jahr aufgerufen, eine neue Volksvertretung zu wählen. Das erst am 5. April aus einer turnusgemäßen Abstimmung hervorgegangene Parlament hatte bereits Mitte Juni wieder aufgelöst werden müssen.

Der seit acht Jahren regierenden Partei der Kommunisten der Republik Moldova (PCRM) fehlte genau eine Stimme, um Premierministerin Sinaida Greceanii ins Präsidentenamt zu wählen. Moldovas Staatsoberhaupt wird nicht direkt, sondern mit Dreifünftelmehrheit vom Parlament gewählt. Dort aber verfügte die PCRM nach den Wahlen am 5. April nur über 60 der insgesamt 101 Mandate. Alle Versuche, einen oppositionellen Abgeordneten – und damit die fehlende 61. Stimme – zu gewinnen, scheiterten am geschlossenen Boykott der Opposition. Der bisherige Präsident Wladimir Woronin, der nach zwei Amtsperioden nicht wieder kandidieren durfte, musste das gerade erneuerte Parlament laut Verfassung wieder auflösen.

Eben durch die April-Wahlen und die darauf folgenden Unruhen hatten sich die Fronten zwischen den verfeindeten Lagern extrem verhärtet. Proteste wegen vermeintlichen »Wahlbetrugs« der Kommunisten waren am 6. und 7. April zu Tumulten und Pogromen eskaliert. Hunderte meist jugendliche Demonstranten randalierten fast zwei Tage lang im Zentrum der Hauptstadt Chisinau, verbrannten Fahnen der KP und der Sowjetunion, verwüsteten das Parlamentsgebäude und den Sitz des Präsidenten. Zwei Menschen kamen zu Tode, etliche wurden verletzt, der materielle Schaden belief sich auf einen zweistelligen Millionenbetrag.

Bis heute sind Motive und Hintermänner des Aufruhrs umstritten. Woronin verortete die Drahtzieher in Rumänien, zu dem Moldova von 1918 bis 1940 und von 1941 bis 1944 gehörte. Bukarest habe oppositionelle Jugendorganisationen für einen Staatsstreich aufmunitioniert. In der Tat hatten viele bei den Pogromen rumänische Fahnen geschwenkt und die Wiedervereinigung gefordert.

Die liberale Opposition dagegen macht die PCRM selbst verantwortlich. Die habe zuerst die Wahlen manipuliert und dann die Unruhen angezettelt, um die Opposition zu diskreditieren und die Gesellschaft von den schweren sozialen und wirtschaftlichen Problemen des Landes abzulenken. Darüber hinaus wirft sie Woronin den Verrat nationaler Interessen in Verhandlungen mit der abtrünnigen Dnjestr-Republik vor. Die mehrheitlich von Russen und Ukrainern bewohnte Region am östlichen Dnjestr-Ufer hatte sich nach blutigen Kämpfen zu Beginn der 90er Jahre für unabhängig erklärt. Alle Vermittlungsversuche der internationalen Gemeinschaft, die diese Unabhängigkeit nicht anerkennt, sind bisher erfolglos geblieben. Bei Dreierverhandlungen unter der Schirmherrschaft des russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew im März war Woronin den Separatisten jedoch entgegengekommen.

Obwohl die April-Wahlen nach Ansicht internationaler Beobachter im Wesentlichen den üblichen Standards entsprachen, beklagte die Opposition Unregelmäßigkeiten und Behinderungen. Vlad Filat, Chef der Liberaldemokratischen Partei (PLDM), sprach beispielsweise von tausenden »toten Seelen« in den Wählerlisten. Eine Neuauszählung der Stimmen, erklärte Filat schon im April, reiche daher nicht, seine und die beiden anderen ins Parlament gelangten liberalen Parteien würden durch ihr Stimmverhalten bei der Wahl des Präsidenten daher einen neuerlichen Urnengang erzwingen. Was ihnen denn auch gelang.

Die Wählerlisten seien immer noch nicht in vollem Umfang korrigiert worden, behaupteten Oppositionelle zu Beginn dieser Woche. Auch hätten die überregionalen Fernsehkanäle die Kommunisten im Wahlkampf bevorzugt, klagten sie. Zwar hat Woronin unabhängig vom Wahlausgang Kompromisse und Koalitionen angeboten, doch die Opposition will nichts anderes als die Verdrängung der PCRM aus der Regierung.

In den letzten Umfragen lagen die Kommunisten zwischen 32 und 38 Prozent, was einen erheblichen Verlust gegenüber dem offiziellen Ergebnis der Aprilwahlen erwarten ließe. Die Rechnung vor der Wahlwiederholung enthält jedoch eine Unbekannte: Marian Lupu, ehemaliger Parlamentschef, zeitweilig sogar als Nachfolger Woronins im Präsidentenamt gehandelt, verließ Anfang Juni die PCRM, erhob schwere Vorwürfe gegen seine einstigen Genossen und wurde umgehend zum Spitzenkandidaten der Demokratischen Partei (PDM) gekürt, die in den Umfragen prompt auf rund 10 Prozent kletterte. Mancher sieht darin ein Manöver Woronins, seiner Partei einen Koalitionspartner zu sichern.


Offizielles Ergebnis der Aprilwahlen

Partei Prozent Mandate

Partei der Kommunisten (PCRM) 49,5 60

Liberale Partei (PL) 13,1 15

Liberaldemokratische Partei (PLDM) 12,4 15

Allianz Unser Moldova (AMN) 9,8 11

Sozialdemokratische Partei (PSD) 3,7 –

Demokratische Partei (PDM) 3,0 –

Christlich-Demokratische Volkspartei (PPCD) 3,0 –

Sonstige 5,5 –

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