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Wildromantisches Felsenreich

Zu Fuß und per Boot durchs Kirnitzschtal im Nationalpark Sächsische Schweiz

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 6 Min.

Micha ist nicht so eine Memme wie ich. Er zieht mit den anderen los, um der »Tante«, einem 15 Meter hohen Felsen, hoch oben in den Schrammsteinen im Elbsandsteingebirge, aufs Dach zu steigen. »Versuch macht klug«, scherzt er, »bis heute Abend dann.« Schon bei dem Gedanken daran, in einer Felsenwand zu hängen, schlägt mein Kreislauf Purzelbäume. Nein danke, klettert mal schön, da schnür ich lieber die Wanderstiefel und zieh allein los.

Begegnung am Zeughaus

Von Bad Schandau bis zur Neumannmühle, wo jahrhundertelang, von Wasserkraft angetrieben, Holz geschnitten und geschliffen wurde, bringt mich der Bus. Heute ist die Mühle technisches Denkmal und eine Gastwirtschaft. Genau gegenüber beginnt der Große Zschand, eine von Felsen und Grotten gesäumte Schlucht, durch die seit dem Mittelalter die Passstraße nach Böhmen führte. Nach zwei Kilometern ist das 1732 errichtete Zeughaus erreicht. Einst wurde hier das kurfürstliche Jagdzeug untergebracht, heute lädt es zur Stärkung ein. Doch neun Uhr morgens kommen nur Wenige vorbei.

Christine Grahl zum Beispiel. Die Mitarbeiterin des Nationalparks Sächsische Schweiz, durch den die Tour führt, beginnt hier ihren »Streifzug«. Sie schaut, ob alles seine Ordnung hat, dass niemand ein Zelt aufschlägt oder Fahrrad fährt, wo man es nicht darf, dass keiner ein Feuer entfacht oder seinen Müll liegen lässt. Ab und an müsse sie jemanden ermahnen, doch die meisten würden die Regeln des Nationalparks achten, erzählt sie. Ein Stückchen laufen wir gemeinsam, dann trennen sich unsere Wege. Sie will in Richtung Goldsteig, einen Weg, den sie wegen zum Teil unberührter Wildnis und grandioser Ausblicke besonders liebt.

Ich laufe in entgegengesetzte Richtung, immer an der Kirnitzsch entlang. Das Flüsschen, dessen Quelle im Böhmischen bei Krasná Lípa liegt, schlängelt sich rund 40 Kilometer durch das Elbsandsteingebirge, ehe es bei Bad Schandau in die Elbe mündet. Schon im 16. Jahrhundert staute man es an und baute mehrere Schleusen, um das Holz aus den schwer zugänglichen Wäldern über die Kirnitzsch nach Schandau flößen zu können. Von dort aus gelangte es per Floß oder Schiff nach Dresden, wo das meiste am Sächsischen Hof und in der Meißner Porzellanmanufaktur verheizt wurde.

Nach knapp eineinhalb Stunden erreiche ich die 1612 erbaute Niedere Schleuse, ein imposantes Bauwerk mit einer 32 Meter breiten Staumauer. Seit Waldarbeiter die fast zerfallene Anlage zwischen 1985 und 1993 detailgetreu rekonstruierten, ist sie wieder voll funktionsfähig und dient heute dem Hochwasserschutz des Kirnitzschtales.

Es ist sehr heiß an diesem Tag, nach dem Frühstück an der Schleuse ist meine Wasserflasche fast leer. Da erscheint die Marienquelle wenige Kilometer weiter wie ein Geschenk des Himmels. Das sahen wohl auch die durstigen Wallfahrer vor hunderten Jahren so, die der Quelle ihren Namen gaben. Mit zwei Litern pro Sekunde sprudelt sie aus dem Felsen über Arme und das Gesicht. Schnell noch die Flasche aufgefüllt, und erfrischt geht's weiter durch die Kernzone, den besonders geschützten Bereich des Nationalparks. Seit ein Viertel des 368 Quadratkilometer großen Landschaftsschutzgebietes Sächsische Schweiz 1990 zum Nationalparks wurde, überlässt man diese Fläche sich selbst. Umgestürzte Bäume sind inzwischen üppig mit Farnen, Moosen und Blumen bewachsen, die Natur liefert hier ein beeindruckendes Bild davon, wozu sie in der Lage ist, wenn man sie nur in Ruhe lässt.

War der Weg anfangs noch gut geeignet für Radfahrer, so ändert er sich auf halber Strecke grundlegend, führt über hervorstehende Wurzeln, immer wieder muss man Felsen umgehen. Wechselten vorher Waldstücke mit Wiesenflächen, so ragen jetzt immer öfter gewaltige Felswände in die Höhe und verengen das Tal. Bei ihrem Anblick frage ich mich, wie es wohl Micha geht? Tanzt er inzwischen der »Tante« auf dem Kopf herum, oder hat sie ihn das Fürchten gelehrt?

Ich jedenfalls bin froh, festen Boden unter den Füßen zu spüren. Mein »Gipfelsturm« beginnt in der Wolfsschlucht – zwar steil und schweißtreibend, aber über einigermaßen sichere Treppen. Oben angelangt, heißt es Kopf einziehen und sich durch die ziemlich glitschige Bärenhöhle schlängeln. Dass hier jemals ein Bär seine Nase reingesteckt hat ist zwar mehr als unwahrscheinlich, aber zur Untermalung einer schönen Gruselstory für die Daheimgebliebenen sollte man unbedingt ein paar dramatisch wirkende Fotos machen. Vielleicht kann man ja doch jemanden einen Bären aufbinden!

Ein Krokodil im Felsen

Das zumindest versuchen die Kahnführer, die an der Oberen Schleuse bei Hinterhermsdorf auf dem durch den Bau der Stauanlage entstandenen 700 Meter langen See die Besucher hin- und herfahren. Seit 1879 ist der Kahn eine besondere Touristenattraktion mitten im sächsischen Felsenreich. So was gibt's nur hier und ein Stück weiter im Böhmischen – die Edmunds- und die Wilde Klamm.

»Bassnse uff, dasse nich iewor Bord gehn«, warnt der Bootsführer. »Im See lähbn nämlisch 14 fleeschfressende Fischardn un een Rebdil. »Aber wenigsdens das Riesenviech sonnd sich uffm Felsen da ohm«, gibt er teilweise Entwarnung. Und tatsächlich, hoch über unseren Köpfen liegt ein grimmig guckendes versteinertes Krokodil. »Das zieht immer so 'ne bleede Gusche«, lässt er uns wissen.

Von mir aus! Mich interessiert jetzt viel mehr, wie es Micha ergangen ist. Ne »bleede Gusche« zieht er nicht, aber glücklich guckt er auch nicht, als die Wandergruppe am Nachmittag wieder vereint ist. Die »Tante« sei fürs erste Mal doch ein zu harter Brocken gewesen, erzählt er ein bisschen resigniert. Einen Gipfel aber bezwingen wir am Abend dann doch noch – den Papststein bei Gohrisch. Zu Fuß steigen wir bis auf eine Höhe von 451 Meter. Was ist da schon die »Tante« mit ihren 15! Oben erwartet uns nicht nur eine tolle Aussicht, sondern auch eine Gastwirtschaft mit kühlem Bier und sächsischem Wein und ein traumhafter Sonnenuntergang.

  • Infos: Tourismusverband Sächsische Schweiz e.V., Bahnhofstr. 21, 01796 Pirna, Tel.: (03501) 47 01-47, Fax: -48, E-Mail: info@saechsische-schweiz.de, www.saechsische-schweiz.de
  • Im »Best of Wandern« Testcenter in der Bad Schandauer Touristinformation im Haus des Gastes (Am Markt 12), kann man kostenfrei Wanderutensilien von Schuhen bis zum Kindertragegestell ausleihen (täglich von 9 bis 21 Uhr geöffnet) Infos: www.best-of-wandern.de
  • Bootstouren an der Oberen Schleuse zwischen April und Oktober, täglich 9 bis 18 Uhr
  • Wander- und Radwanderkarte »Hintere Sächsische Schweiz« (Blatt 2 – Großer Zschand, Hinterhermsdorf), Maßstab 1:15 000, Sachsen Kartographie GmbH, 4,90 €
  • Literatur: Wandern Sächsische Schweiz, Dumont-Verlag, ISBN: 978-3-7701-5319-0, 156 S., 41 Abb., 31 farb. Karten, 30 Höhenprofile, Format: 19,5 x 10,5 cm, 12 €
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