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Das Paradies

Karl Farr

  • Lesedauer: 3 Min.

In meiner norddeutschen Heimatstadt gab es einen interessanten Garten. Er lag integriert zwischen alten Leinweberhäusern und dem Lagerhaus einer Obst- und Gemüsehandlung. Das Ganze befand sich an der Straße, in der auch die Familie meiner Mutter wohnte. Ich entsinne mich noch genau an die Aufschrift über dem Tor der Lagerhalle auf weißem Grund. Nachts wurde sie von einer darüber angebrachten Lampe beleuchtet.

Eine aus Backsteinen bestehende Mauer, mit einem eingelassenem Eisentor grenzte den Garten zur Straße ab. Auf zwei Pfeilern befanden sich zwei Büsten und sollten die Köpfe von Adam und Eva darstellen. Der Garten hieß entsprechend, Garten Eden. Es erweckte in manch einem Neugier, weil, wie man hinter vorgehaltener Hand raunte, Garten Eden ja Paradies bedeutete.

Solange ich mich erinnern kann, war das eiserne Tor verschlossen. Nur ganz Mutige wagten, über die hohe Mauer zu klettern. Auch ich bin später einmal hineingelangt. Allerdings kletterte ich von hinten über einen hohen Maschendrahtzaun, mit einer Reihe Stacheldraht oben drauf. Aber, das war schon, als der Garten aufgegeben wurde.

Zu der Zeit als ich noch im Grundschulalter war, liefen zwei Hunde hinter dem Tor. Aber sie bellten nur wenig, zumal sie uns Kinder kannten. Wenn man freundlich mit ihnen sprach, kamen sie sogar zutraulich ans Tor. Ich glaube, wir Kinder nannten sie Piff und Paff. Manchmal befanden sich auch Leute im Garten und ich weiß noch, dass sie unter einem rot-weiß gestreiftem Sonnenschirm saßen. Mein Vater sagte, dass sie den besseren Kreisen angehörten. Auf einem Servierwagen standen Getränkeflaschen und Gläser.

Später erfuhr ich, dass der Garten einer berühmten Frau gehörte, deren Namen ich heute nicht mehr weiß. Im Sommer hingen Äste mit roten Äpfeln über der Mauer, von denen wir Kinder gern gekostet hätten. Ein paar ganz mutige Jungen wagten es und überkletterten im Schutz des Abends die Mauer. Danach berichteten sie stolz darüber, denn die geklauten Äpfel stammten ja aus dem Paradies!

Als der Garten noch gehegt und gepflegt wurde, stand eines Tages das Tor offen und Leute befanden sich darin. Es muss sich wohl um eine Hochzeitsgesellschaft gehandelt haben. Auch in den nächsten Tagen war das Grundstück zugänglich und ich betrat es mit meinem Vater.

Die Anlage war tatsächlich sehr schön und es befanden sich neben Rasen, Bäumen, Blumen und Sträuchern auch einige Steinfiguren darin, so wie in einem Schlosspark. Das Geheime bot sich mir zum ersten Mal dar, aber es überwältigte mich nicht.

Später wurde der Garten wieder verschlossen und nur ab und an hörte man jemand mit einem Rechen arbeiten. Die alte Mauer wurde abgerissen und man baute eine neue. Es hieß, die Besitzerin habe den Garten verkauft.

Im Zuge der Altstadtsanierung, wie es in den Siebzigern so schön hieß, wurden die das Grundstück umgebenden Gebäude abgerissen. Auch der Garten verschwand und machte einer verbreiterten Straße Platz.

Der Garten Eden, das Paradies waren verloren!

Karl Farr, 1954 in Leer, Ostfriesland, geboren, lebt in Essen. Er schreibt Gedichte und Prosa.

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