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Raus aus der Hartz IV-Falle

Junge Mütter absolvieren bei den Land-in-Sicht-Ausbildungsprojekten (LiSA) eine Lehre in Teilzeit

  • Bettina Markmeyer, epd
  • Lesedauer: 4 Min.

Denise Link steht, ohne sich anzulehnen, zwischen den Hobelbänken. Sie trägt eine khakifarbene Latzhose, die dunkelblonden Haare hat sie zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie lächelt. Eben hat die angehende Tischlerin eine Kindergarderobe in Pinguinform aus der Farbvernebelungsanlage geholt. Die Lackierung ist ebenmäßig geworden, sie ist zufrieden. »Für meine Kleine«, sagt sie, »das kommt ins Kinderzimmer.« Das Auffälligste an Denise sind ihre strahlenden Augen und ihre Haltung: Sie wirkt, als hätte sie schon immer Grund unter den Füßen gehabt.

Dabei hatte sie statistisch gesehen kaum eine Chance. Denise Link hat einen erweiterten Hauptschulabschluss, ist 21 Jahre alt und alleinerziehende Mutter einer zweijährigen Tochter. Eine Ausbildung in der Gastronomie hat sie wegen Krankheit abbrechen müssen, sich vergeblich bei zahllosen Zahnärzten beworben, schließlich gejobbt und dann Hartz IV beantragt, »wegen der Kleinen«. Auf ihre Bewerbungen, in denen sie nicht verschwiegen hatte, dass sie eine junge Mutter ist, seien schließlich nicht einmal mehr Absagen gekommen.

Dann erfuhr sie in der Krabbelgruppe ihrer Tochter von LiSA, den »Land in Sicht Ausbildungsprojekten« des Diakonischen Werkes in Tempelhof. Sie bewarb sich und ist nun eine von sieben angehenden Tischlerinnen im ersten Lehrjahr. Im zweiten Lehrjahr sind fünf, im dritten vier junge Frauen.

Nebenan lernen fünf Frauen den Bootsbau, auch sie alleinerziehende Mütter zwischen 16 und 27 Jahren. Das Besondere: Sie können ihre Ausbildung in Teilzeit absolvieren, 30 Stunden in der Woche. Dafür lernen die Tischlerinnen dreieinhalb und die Bootsbauerinnen vier Jahre, je ein halbes Jahr länger als bei einer Lehre in Vollzeit.

In dem Projekt bekommen junge Frauen eine Chance, die mehr brauchen als einen Ausbildungsplatz. Die Ausbildungsvergütung, im ersten Lehrjahr 300 Euro im Monat, reicht nicht zum Leben. Hinzukommen müssen Wohngeld, Kinderzuschlag, Kindergeld und Ausbildungsbeihilfe oder ergänzende Hartz-IV-Leistungen. Einige junge Frauen bringen bereits Schulden mit oder brauchen Hilfe im Alltag. Eine Sozialarbeiterin arbeitet mit ihnen Haushaltspläne aus, damit sie lernen, mit dem wenigen Geld auszukommen.

Bei LiSA erhalten die angehenden Tischlerinnen zusätzlich zum Berufsschulunterricht Extra-Stunden, besonders in Mathematik. Mit diesem Stützunterricht »läuft es gut«, sagt Denise Link. Ihre Hausaufgaben könne sie ebenfalls in den Räumen von LiSA machen. Zu Hause schaffe sie es kaum. Wenn die Kleine schlafe, sei sie zu müde zum Lernen.

Sie steht um 5.30 Uhr auf und weckt ihre Tochter um sechs, damit sie pünktlich ist, erst in der Kindertagesstätte und anschließend in der Berufsschule. Ein bis zwei Mal die Woche muss sie dorthin. Der Arbeitsbeginn bei LiSA hingegen stellt sich auf die Situation der jungen Mütter ein. Manche kommen um acht Uhr, andere, die weite Wege haben, eine halbe Stunde später. Für die Frauen ist es eine große Hilfe, ebenso wie die tägliche Arbeitszeit von nur sechs statt acht Stunden.

In den Augen von Leiterin Cornelia Leuteritz ist das Projekt ein Erfolg. Erst eine junge Frau habe die Lehre abgebrochen, sagt sie. Aber sie räumt auch ein, dass damit die Frage nicht beantwortet sei, ob die Frauen anschließend eine Arbeit finden. Sie hätten aber mit dem Berufsabschluss erheblich mehr Möglichkeiten, sagt Leuteritz, selbst wenn sie anschließend nicht als Tischlerin oder gar als Bootsbauerin arbeiteten.

Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bleiben junge alleinerziehende Frauen ohne Berufsabschluss tatsächlich am längsten abhängig von Hartz IV. Von insgesamt 1,57 Millionen Alleinerziehenden beziehen rund 650 000 Hartz IV. Der Anteil ist höher als in jeder anderen Bevölkerungsgruppe. Das Risiko ihrer Kinder, in Armut aufzuwachsen, liegt bei 40 Prozent.

Denise weiß, was solche Zahlen bedeuten. Ihre Mutter ist arbeitslos, ihr Vater war es lange, sie hat fünf Geschwister, ihre Oma hatte 15 Kinder. Unter ihren Freunden haben viele keine Ausbildung, manche sind mit Sozialhilfe groß geworden. »Ich will das nicht«, sagt sie. Bei ihren Freundinnen, einige schon mit Kind, gilt Denise inzwischen als Vorbild: »Bei mir sehen sie: Ich mach' mein Ding, auch mit meiner Tochter.«

www.lisa-ev.de

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