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»Wir hoffen, dass es weitergeht«

Die Karstadt-Mitarbeiter sind verunsichert und verärgert / Kunden und Kommunen bangen mit

  • Heike Zielasko, Essen
  • Lesedauer: 4 Min.
»Besser Karstadt« oder »Schöner Shoppen in der Stadt« – wie lange wird es diese Werbeslogans noch geben? Anfang Juni hat der Mutter-Konzern Arcandor Insolvenzantrag gestellt. Karstadt mit seinen bundesweit 90 Filialen zog nach. Jetzt bangen über 30 000 Mitarbeiter um ihren Arbeitsplatz. Besonders betroffen ist das Ruhrgebiet.

Ute Rosenberger* arbeitet gerne als Verkäuferin. Seit 25 Jahren ist sie in einer Karstadt-Filiale im westlichen Ruhrgebiet beschäftigt. Schon ihre Ausbildung machte sie in dem Unternehmen. Der Wechsel zu einem anderen Konzern kam nie in Frage. »Ich habe mich in meiner Abteilung immer sehr wohl gefühlt. Die Kunden, die Kollegen: Es stimmte einfach alles.«

In letzter Zeit allerdings nicht mehr, und eigentlich auch schon einige Jahre vorher nicht. Denn nach einer Phase der Expansion (1994 übernahm Karstadt die Hertie-Kaufhäuser) und nach der Fusion mit Quelle zur KarstadtQuelle AG (1999) begann 2004 das große Zittern. Der Konzern befand sich in finanziellen Schwierigkeiten. Karstadt trennte sich ein Jahr später von 74 kleineren Filialen. »Wir fühlen uns betrogen, denn schon damals folgten wir dem mit der Gewerkschaft ausgehandelten Sanierungsplan. Wir verzichteten auf Lohnerhöhungen, nahmen Einbußen beim Urlaubsgeld und dem 13. Monatsgehalt hin. Wir fühlen uns verarscht – verarscht von der Gewerkschaft und vom Konzern«, schimpft die 42-jährige Verkäuferin.

Neue Waren kommen langsam wieder rein. Doch wie lange noch? »Die Lager waren fast leer. Es kamen keine Waren mehr nach, als bekannt wurde, dass Arcandor Insolvenz angemeldet hatte«, blickt Ute Rosenberger zurück. »Uns ging es sehr schlecht, zumal wir den Kunden sagen mussten, warum das so ist.«

Inventur bis Ende August

Doch anstatt den Lagerbestand aufrechtzuerhalten, müssen die Verkäuferinnen bis Ende August Inventur machen. Überstunden können nicht genommen werden. Ob die bislang angefallenen ausgezahlt werden, ist unklar. Und dann ist da noch das Ermittlungsverfahren gegen den früheren Arcandor-Chef Thomas Middelhoff wegen Verdachts der Untreue. Er hat sich an Immobilienfonds der Privatbank Sal. Oppenheim beteiligt, die im Verdacht stehen, zu hohe Mieten von Karstadt genommen zu haben. Hat sich Middelhoff dadurch persönlich bereichert? Der Manager behauptet das Gegenteil: »Viele Stimmen sagen, ohne mich wäre schon 2004 Schluss gewesen.« Und er habe Karstadt »kurz vor Toresschluss gerettet«.

Die Staatsanwaltschaft Essen soll es herausfinden. Das hoffen auch Ute Rosenberger und ihre Kollegen, denn sie sind besonders wütend auf den einstigen Vorzeige-Manager. »Wo ist das ganze Geld geblieben, was damals durch die Sanierung eingespart wurde? Da wird sich Herr Middelhoff aber erklären müssen.«

Mit Informationen geizt der Konzern gegenüber Mitarbeitern und Kunden. »Wir werden nicht informiert, es gibt keine Betriebsversammlung. Es läuft alles einfach weiter«, sagt Ute Rosenberger. Dies merken auch die Stammkunden, die auf Gewohntes nicht so ohne Weiteres verzichten möchten. Vier Azubis arbeiten in Ute Rosenbergers Filiale. Die 57- und 58-jährigen Verkäuferinnen werden wohl bald in den Vorruhestand gehen. Der Altersdurchschnitt in der Filiale liegt um die 40 Jahre, die meisten sind Frauen.

Karstadts Stammkunden äußern ihre Ängste zu Recht. In den kleineren Ruhrgebietsstädten wie Bottrop oder Gladbeck sind Karstadt und Hertie Aushängeschilder. Sonst gibt es in der Innenstadt nur Discounter. Verschwinden die Warenhäuser, kann dies fatale Folgen für die lokalen Zentren haben: Frustrierte Kundschaft wendet sich ab und wandert in die Nachbarstädte, die Kaufkraft sinkt, die Innenstädte veröden. Im Ruhrgebiet könnte dieses Szenario, bedingt durch die drohende Insolvenz der Arcandor AG, schon bald Wirklichkeit werden. Das Kaufhaus Hertie in Gladbeck wird am 15. August seine Pforten schließen. Dann zieht auch die im Haus angesiedelte Post um. »Wie es nach der Schließung weitergeht, das wissen wir einfach nicht. Es gibt für die die Ladenfläche keine Interessenten«, sagt Pressesprecher Leonard Held von Hertie Gladbeck.

Anfang Juni entsandten alle Städte mit Karstadt-Filialen Vertreter nach Berlin. Sie folgten einer Einladung von Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD). »Ich unterstütze alle Aktivitäten, die darauf ausgerichtet sind, die Karstadt-Filiale in Bottrop zu erhalten«, betont der Technische Beigeordnete Bernd Tischler, der in Berlin die Ruhrgebietsstadt vertrat. Oberbürgermeister Peter Noetzel wies in einem offiziellen Schreiben an Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Theodor Freiherr zu Guttenberg (CSU) darauf hin, wie wichtig die Zukunft von Karstadt in Bottrop ist.

Probleme in den Innenstädten

Ende Juli schlossen sich 34 Ruhrgebietsstädte zum »Netzwerk Innenstadt NRW« zusammen. Die beteiligten Kommunen möchten mittels gemeinsamem Gespräch und gegenseitigem Austausch von Informationen die Probleme in den Innenstädten besser lösen.

Auch in Ostdeutschland bangen die Karstadt-Mitarbeiter um ihre Jobs. Es gibt Filialen in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Das weiß auch Ute Rosenberger: »Natürlich denken wir an unsere Kollegen im Osten. Sie sind genauso betroffen wie wir.«

(* Name von der Red. geändert)

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