nd-aktuell.de / 04.08.2009 / Politik / Seite 2

Italiens Rechte stellt die Geschichte in Zweifel

Berlusconis Parteifreunde laufen Sturm gegen angebliche »ideologische Dogmen«

Anna Maldini, Rom
Italiens rechte Regierung will die Geschichte des Landes umschreiben – und setzt damit zugleich ihren Feldzug gegen die Richterschaft fort. Namhafte Vertreter der Regierungsparteien verunglimpfen einen von der Camorra ermordeten Priester und stellen in Frage, dass das Attentat von 1980 auf dem Bahnhof von Bologna von Neofaschisten verübt wurde.

»Dass Don Beppe Diana 1994 von der Camorra erschossen wurde ist eine Tatsache. Die Frage ist nur, warum dieser Mord geschah.« Gaetano Pecorella, seines Zeichens Rechtsanwalt des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, Abgeordneter der Partei »Volk der Freiheit« und Vorsitzender eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Wirtschaftsmafia, sieht Aufklärungsbedarf. Er schreibt dem Mord an dem neapolitanischen Priester einen »obskuren« Hintergrund zu: Wahrscheinlich habe die Justiz bewusst alle Indizien übersehen, die in eine andere Richtung deuteten, weil man einen »Märtyrer gegen die Camorra« gebraucht habe. Es habe sich seinerzeit um einen »politisch gesteuerten« Prozess gehandelt. Was Pecorella damit andeuten will: Don Beppe Diana habe mit der Camorra in irgendeiner Form gekungelt, möglicherweise habe er einen Clan gegen einen anderen unterstützt oder vielleicht hatte er auch die »falsche« Geliebte.

Roberto Saviano, Autor etlicher Publikationen über die Camorra, wandte sich vehement gegen derartige Verleumdungen. Doch Pecorella stempelte ihn umgehend als »bezahlten Fachmann der Anti-Mafia-Bewegung« ab. Der Berlusconi-Vertraute benutze die Verleumdung als politische Mittel, setze Verdächtigungen in die Welt und schrecke noch nicht einmal davor zurück, Tote anzugreifen, sagt Luigi de Magistris, EU-Abgeordneter der Partei »Italien der Werte« des ehemaligen Staatsanwalts Antonio die Pietro. So werde man all jenen, die in Neapel gegen die Camorra kämpfen, ob in der Kirche oder sonst in der Gesellschaft, die Legitimation entziehen. Pecorella selbst tut das freilich als »Schwachsinn« ab und sieht sich als Opfer einer »linken Schmutzkampagne«. Seinen Rücktritt, der von verschiedenen Parlamentariern der Demokratischen Partei gefordert wurde, schließt er kategorisch aus.

Derweil hat sich Daniele Capezzone, Sprecher der Regierungspartei »Volk der Freiheit«, einen anderen Aspekt der italienischen Geschichte vorgenommen: den Bombenanschlag, der am 2. August 1980 auf dem Hauptbahnhof von Bologna verübt wurde. Damals kamen 85 Menschen ums Leben, etwa 200 wurden verletzt. Die rechtsradikale terroristische Organisation Ordine Nuovo wurde beschuldigt, den Anschlag ausgeführt zu haben, drei Neofaschisten wurden für die Tatbeteiligung verurteilt. Die Richter verurteilten aber auch zwei Agenten des italienischen Geheimdienstes SISMI und den Vorsitzende der Geheimloge Propaganda Due (P2), Licio Gelli, wegen Behinderung der Ermittlungsarbeiten. Der P2 gehörte einst auch Silvio Berlusconi an.

Allerdings wurde die Rolle der Geheimdienste nicht endgültig geklärt. Die Unterlagen darüber wurden als »Staatsgeheimnis« eingestuft, sie sind bis heute unter Verschluss. Und nun erklärt der Sprecher der mächtigen Regierungspartei, es sei die Zeit gekommen, sich doch mal die »wahre Wahrheit« vorzunehmen. Man solle endlich aufhören, den Anschlag von Bologna als »faschistisches Massaker« zu bezeichnen. Dabei handele es sich um ein »ideologisches Dogma«, um eine politisch vorgefertigte Wahrheit, die man endlich einmal in Frage stellen müsse.

Paolo Bolognesi, Vorsitzender der Vereinigung der Hinterbliebenen des Anschlags von Bologna, sieht in dieser Sache ebenfalls noch Klärungsbedarf – allerdings in einer ganz anderen Richtung. »Es fällt auf«, sagt Bolognesi, »dass keine der Personen, die wegen des Attentats verurteilt wurden, heute noch im Gefängnis sitzt.« Er äußert den Verdacht, dass es einen geheimen Pakt gegeben hat und noch immer gibt: »Schweigen gegen Freiheit«. Deshalb fordert Bolognesi vehement, dass die Regierung die Unterlagen von Polizei und Geheimdiensten endlich freigibt.