Mitte verliert seine Schokoladenseite

Verträge für das Wohn- und Kulturprojekt in der Ackerstraße endgültig gekündigt

Die Richterin Regina Johannson machte dem Wohn- und Kulturprojekt Schokoladen wenig Hoffnung auf einen Verbleib in Mitte: »Irgendwann ist das Mietverhältnis zu Ende. Ein Rechtsstreit macht nicht mehr viel Sinn«, sagte sie unmissverständlich. So fiel der Teilerfolg, den die Nutzer der Häuser in der Ackerstraße 168 und 169 gestern vor dem Landgericht erstritten, bescheiden aus: Wegen eines Verfahrensfehlers sind die Kündigungen der Mietverträge von 2004 ungültig.

Denn postwendend präsentierte die Rechtsanwältin Peggy Götz, die den Eigentümer Markus Friedrich vor Gericht vertritt, neue Kündigungen: Für den Schokoladen endet demnach das Mietverhältnis Ende Juli kommenden Jahres, für die übrigen Gewerberäume im Erdgeschoss zum Jahresende 2010. Der Wohnraum ist bereits zum Februar im nächsten Jahr gekündigt. Derzeit wohnen in dem Gebäudekomplex 24 Leute. Es ist ungewiss, ob der Schokoladen auch im nächsten Jahr noch sein Bestehen als Hoffest feiern kann – es wäre das zwanzigste.

Im Sommer 1990 besetzten Studenten die ehemalige Schokoladenfabrik in der Ackerstraße. Nach und nach sanierten sie das Haus und richteten im Erdgeschoss das Kultur-Café Schokoladen ein, das mit seinen Konzerten weit über die Grenzen Berlins bekannt ist. Ins Nachbarhaus zog 2007 der Club der Polnischen Versager ein, ein polnischer Künstlerzusammenschluss. Im Hof gibt es zudem Werkstätten, Ateliers und ein Theater. Fast zwei Jahrzehnte haben die Bewohner und Nutzer des Schokoladens selbstbestimmte und unkommerzielle Kultur geschaffen. »Wir sind hier eine Gemeinschaft«, sagt Adam Gusowski vom Club der Polnischen Versager. »Auch wenn wir über die unterschiedlichen Verträge als einzelne Verhandlungspartner angesehen werden.« Als Stiftung wollten sie den 1650 Quadratmeter großen Altbau kaufen und unterbreiteten dem Eigentümer ein Angebot. Markus Friedrich aber lehnte ab. »Das Angebot hat sich nicht gerechnet«, erklärte Peggy Götz gestern bei der Gerichtsverhandlung. Friedrich will das Gebäude komplett sanieren und danach mehr Miete verlangen. Soviel, dass die bisherigen Nutzer ihren Kulturstandort nicht mehr aufrechterhalten können.

Die Viertel in der Spandauer und Rosenthaler Vorstadt haben sich in den letzten Jahren sehr verändert. Die Schokoladenfabrik mit ihrer noch unsanierten Fassade und den liebevoll restaurierten Sprossenfenstern im Erdgeschoss scheint wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Das, was Stadtsoziologen wie Hartmut Häußermann als Gentrifizierung ansehen – nämlich die Verdrängung der sozial Schwachen durch die Einkommensstärkeren durch aufwendige Altbausanierungen – ist hier zu beobachten: Für die meisten Kreativen und Studenten ist der Wohnraum in Mitte zu teuer geworden. Sie sind in andere Viertel gezogen.

Der Politik seien bei diesem Prozess die Hände gebunden, sagt Ephraim Gothe (SPD). Dem Baustadtrat bleibe nichts anderes übrig, als im Falle des Schokoladens an den Eigentümer zu appellieren, sich auf einen Mittelweg einzulassen und auf eine maximale Gewinnausbeute der Immobilie zu verzichten – damit der Kulturstandort erhalten werden könne.

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