Verklärung

Mao-Rezeption in der Bundesrepublik

  • Bernd Hüttner
  • Lesedauer: 2 Min.

Muss man sich heute noch mit dem Maoismus beschäftigen? Wenn man ihn als handlungsanleitende Ideologie betrachtet, kann die Antwort nur »nein« lauten. Wenn Maoismus und die damit verbundene chinesische Kulturrevolution aber als bedeutender Bezugspunkt für die fortschrittlichen Bewegungen der 1960er Jahre weltweit verstanden wird, dann muss die Frage bejaht werden. Nicht zuletzt lässt sich anhand der Geschichte der maoistischen Gruppen im deutschsprachigen Raum zeigen, wie Linke sich Ideologien und Images aneignen, in welcher historischen Situation und mit welcher Begründung.

Der hier vorzustellende Band untersucht, warum sich Ende der 1960er Jahre so viele Menschen für die chinesische Kulturrevolution begeisterten, wie sie sich ihr Bild von Mao und China konstruierten und was für sie attraktiv war. Die sich entmischende Studentenbewegung befand sich 1969 in einer Krise. Da bot sich China und der Maoismus mit seiner Stellung gegen die Supermächte, seiner vorgeblichen Bürokratiekritik und seinem Engagement für die »Dritte Welt« als positiver Bezugsrahmen an. In der Krise der antiautoritären Bewegung entwickelte der Maoismus die größte Anziehungskraft. Warum dies so war, kann das Buch auch nicht schlussendlich klären, es bleibt ein großes »schwarze Loch«. Die Texte geben aber viele Hinweise. Integraler Bestandteil des Maoismus war zum Beispiel die positive Bezugnahme auf die Jugend und eine Verklärung des Bauern als »einfachem Menschen«, der der Kälte des westlichen Kapitalismus entgegengestellt wurde, alles Ideen, an die die Neue Linke anknüpfen konnte. Die Disziplin und Geschlossenheit der maoistischen Gruppen erschien als Ausweg aus der Niederlage der außerparlamentarischen Opposition und als Mittel, endlich den ersehnten Kontakt mit der Arbeiterklasse zu erreichen.

Die Orientierung auf Mao und China geriet ab 1976 ins Wanken. Einerseits durch die aufkommenden neuen sozialen Bewegungen und ihre weit attraktiveren Politikformen, andererseits durch die Veränderungen in China selbst. Es dauerte aber noch bis Anfang der 1980er Jahre, bis sich die ersten maoistischen Gruppen auflösten.

Das Buch enthält zwei autobiografische Beiträge sowie (teils stark detailverliebte) Artikel zur Mao-Rezeption in der ersten Generation der RAF und in kommunistischen Gruppen in der Bundesrepublik, der Schweiz und Österreich sowie zu Mao als Ikone der linken Popkultur. Schlussfolgerungen für heute lassen sich nur sehr vermittelt ziehen. Der Maoismus gehört der Vergangenheit an. Die derzeitige unkritische Euphorie über die »Wiederkehr des Sozialismus« in Südamerika zeigt jedoch erstaunliche Parallelen zu damals.

Sebastian Gehrig/Barbara Mittler/ Felix Wemheuer (Hg.): Kulturrevolution als Vorbild. Maoismen im deutschsprachigen Raum. Peter Lang Verlag, Frankfurt/Main. 221 S., geb., 39 €.

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