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Sehend als Blinder

Zerrissene Umarmungen von Pedro Almodóvar

  • Alexandra Exter
  • Lesedauer: 3 Min.
Penélope Cruz als Schauspielerin Lena in einer ihrer Rollen – raffiniert, elegant, leidenschaftlich
Penélope Cruz als Schauspielerin Lena in einer ihrer Rollen – raffiniert, elegant, leidenschaftlich

Der Verlust ihres Augenlichts ist der schlimmste Albtraum, den ein Filmemacher und sein Kritiker gemeinsam haben, schlimmer noch als die Angst vor dem missglückten Film. Filmemacher Pedro Almodóvar, krankheitsbedingt in einem abgedunkelten Zimmer isoliert, malte sich aus, wie sich der Zustand des Nichtsehens wohl auf Dauer anfühlt. Und erfand seinen Berufsgenossen Mateo Blanco (Lluís Homar), der sich nach der Erblindung für tot erklärt und hinter ein Pseudonym verkriecht: Harry Caine, Drehbuchautor an einer Schreibmaschine mit Blindenschrift.

»Zerrissene Umarmungen« ist ein Film der Spiegelungen, voller Rückbezüge auf Almodóvars Frühwerk und voller Querverweise, von bloßen Anklängen bis zu offenen Zitaten, auf die Werke anderer Filmemacher, allen voran Rossellini. Ein inhaltlich wie stilistisch rückwärtsgewandter Film, Retro-Schick im kostbaren Hochglanzformat, ein Mosaik farbenfroh ausgestatteter Genrefilm-Versatzstücke und ironisch-nostalgischer Selbstzitate, die der Meister filmischer Pop-Art mit Spanienbezug diesmal auf Ibiza und Lanzarote zur Implosion bringt.

Ein Film-im-Film, den Mateo Blanco dreht, bevor der Vorhang fällt und er als Harry Caine von Worten, nicht mehr Bildern, zu leben beginnt, greift zurück auf Almodóvars eigenen internationalen Durchbruch mit der Trennungskomödie »Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs« (1988), von dem Blancos »Frauen und Koffer« ein nahezu identisches Remake ist, in dem, mit ein paar altersbedingten Umbesetzungen, sogar wieder die selben Schauspieler auftreten. Allerdings war damals Carmen Maura Almodóvars Muse, heute wird Hauptdarstellerin Penélope Cruz gern so genannt – Musen, im Unterschied zu ihren Regisseuren, werden eben nie älter.

Für Fernando Guillén, der in »Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs« wunderbar schmierig den treulosen Auslöser manches Zusammenbruchs abgab, tritt hier José Luis Gómez ein, der den höchst realen Bösewicht gibt am Set von Mateo Blancos »Frauen und Koffer«. An die Stelle des Synchronsprechens, das in »Frauen...« die abgelegte Geliebte (Maura) am Stehpult vor der Leinwand noch einmal mit der Stimme des Geliebten (Guillén) vom Band zusammenführt, der Liebesworte flüstert, die er jenseits der Leinwand längst einer anderen sagt, tritt in »Zerrissene Umarmungen« das Lippenlesen, mit dem ein eifersüchtiger Banker und Amateur-Filmproduzent (Gómez) seiner ausgehaltenen Geliebten (Cruz) hinterherspioniert, die in Blancos Film die Hauptrolle spielt und sich längst in ihren Regisseur verliebt hat.

»Zerrissene Umarmungen« erzählt sich in Rückblenden, springt von der Gegenwart im Madrid des Jahres 2008 zurück an das Filmset des Jahres 1992, vom klaustrophobischen Versteckspiel beim Dreh über die weit offenen Räume bei der fatalen Flucht von Regisseur und Hauptdarstellerin nach Lanzarote bis zur betulichen Ordnung des Haushalts von Harry Caine, der den erzählerischen Rahmen abgibt. Bis sich die wahren Bande zwischen den handelnden Personen von einst und jetzt erschließen, ein Puzzlespiel wie die zerrissenen Fotos, die Harry Caines Ziehsohn Diego mühsam wieder zusammensetzt.

Das Fazit legt der Film dem blinden Filmemacher in den Mund: Die Geliebte ist tot, das Augenlicht verloren, der Film als Testament ihrer Liebe aber lässt sich retten – notfalls eben blindlings, rein nach Gehör und Rhythmusgefühl. Und der Regisseur, seiner ganz großen Träume und Leidenschaft verlustig, schart stattdessen eine liebevoll-schützende Kleinfamilie um sich, deren Existenz er viel zu lange ignoriert hatte. Ein Melodram also, aber mit komödiantischem Intermezzo und altersmild versöhnlichem Ende.

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