Recht haben reicht eben nicht

  • Alexis Passadakis
  • Lesedauer: 4 Min.
Recht haben reicht eben nicht

Mit dem Ausbruch der Krise gab es bei vielen die – nur kurz währende – Hoffnung, dass mit den Erschütterungen der Weltwirtschaft zügig das Ende der neoliberalen Nacht dämmern würde. Sicher: Die Krise hat den politischen Möglichkeitsraum geweitet, die emanzipatorische Morgenröte aber bleibt bisher aus. Kein Wunder. Schon für Antonio Gramsci, den unter Benito Mussolini ermordeten Theoretiker und Chef der KP Italien, war ausgeschlossen, dass »die unmittelbaren Wirtschaftskrisen von sich aus fundamentale Ereignisse hervorbringen«, dass sie stattdessen »nur einen günstigeren Boden für die Verbreitung bestimmter Weisen bereiten, die für die ganze weitere Entwicklung des staatlichen Lebens entscheidenden Fragen zu denken, zu stellen und zu lösen.«

Letztlich braucht es für diese »Ereignisse«, die soziale Fortschritte auslösen, Akteure, die gesellschaftlichen Druck entfalten können. Zwar haben die beiden Demonstrationen am 28. März in Berlin und Frankfurt am Main für einige Wochen ins öffentliche Bewusstsein gerückt, dass es ein antagonistisches Potenzial gibt, das mit dem Slogan »Wir zahlen nicht für eure Krise!« einen grundsätzlich Politikwechsel einfordert. Bisher gibt es jedoch keine breit wahrgenommene offene Ausein-andersetzung zwischen dem herrschenden Block und einem ausreichend starken Kräfteensemble, welches sich die Perspektive einer solidarischen Transformation auf die Fahnen schreibt und damit den vom Neoliberalismus gesteckten Rahmen verlassen könnte.

Für das neoliberalen Projekt – als Ideologie, Politik und Produktionsweise – ist es ein entscheidender Erfolg, sozial widerständige Milieus und Akteure derart bis auf die Knochen abgenagt oder zum Verschwinden gebracht zu haben, dass kollektive Verständigungsprozesse über soziale Interessenslagen nur sehr schwierig oder zum Teil gar nicht mehr möglich sind. Den Neoliberalen gelang es, ihre Spielart von Asozialismus als Individualismus zu verkaufen. Die gesellschaftlichen Solidaritätsreserven, die notwendig sind, um sich für kollektive Ziele einzusetzen, wurden damit erschöpft. Insbesondere sind davon die Strukturen betroffen, die sich im Zuge der Arbeiterbewegung herausgebildet haben – wie Gewerkschaften, Arbeitervereine, aber auch die Sozialdemokratischen Parteien. Aber nicht zuletzt auch die Milieus der Neuen Sozialen Bewegungen, wie radikale Umwelt- und Frauenbewegungen.

Letztlich steht die Linke zudem weiterhin unter dem Schock der Epochenwende von 1989. Denn mit dem notwendigen Zusammenbruch des realexistierenden Staatssozialismus ging gleichzeitig ein Verlust der großen emanzipatorischen Erzählungen einher, die auch für andere soziale Bewegungen lebenswichtig waren. Sie waren eine der Quellen sozialer Energie, die das Wagnis sozialen Widerstands ermöglichten. Es ist daher schmerzlich, dass auf der einen Seite große geschichtsoptimistische Entwürfe keinen Widerhall mehr finden, aber andererseits eine linke Realpolitik, die mit kleinen Schritten Verbesserungen erzielen möchte, irreal ist, weil sie nicht auf der Höhe der tatsächlichen gravierenden sozialen Verwerfungen und ökonomischen Risiken agiert, diesen in keinster Weise gewachsen ist.

Mit der globalisierungskritischen Bewegung und den (Welt-)Sozialforen begann zwar ab der zweiten Hälfte der 90er Jahre eine Rekonstituierung sozialer Bewegung. Diesen gelang es jedoch nicht, über eine anti-neoliberale Strömung hinauszuwachsen. Ein neues historisches Projekt, das die vielfältigen globalen Konfliktlagen gebündelt hätte, konnte nicht geschmiedet werden.

Ihre geringen soziale Verankerung und das Fehlen großer verbindender Narrative sind also wesentliche Ursachen für die marginale Rolle, die linke Kräfte bisher in der Krise spielen konnten. Den Strategien der Regierungen und der weiterhin hermetisch neoliberalen Leitmedienmaschine konnte deshalb wenig entgegengesetzt werden. Inhaltlich Recht haben reicht eben nicht. Deshalb ist es notwendig, neue kapillare soziale Geflechte zu knüpfen, in denen Solidarität statt Angst den Humus für gesellschaftlichen Widerstand bildet. Zudem wird die Krise zu Konflikten auf betrieblichem und sozialpolitischem Terrain führen, die, wenn es gelingt, diese symbolisch zuspitzen, Ausgangspunkte für die Vorstellung einer umfassenden solidarischen Transformation sein könnten.

Alexis Passadakis, 1976 geboren, ist Politikwissenschaftler und Mitglied im Koordinierungskreis des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac. Beruflich arbeitet er u. a. in der politischen Bildungsarbeit. 2008 hat Passadakis das Klimaaktionscamp gegen das Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg mitorganisiert und gehörte zur Vorbereitungsgruppe der Demonstrationen »Wir zahlen nicht für eure Krise!« in Frankfurt am Main und Berlin .

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